Sieben Knoten und ein roter Faden

Elisabetta_Ardore

by Elisabetta_Ardore

Story
Salzburg 2025

Hin und wieder, wenn ich am Tresen stehe und der Festpieltrubel tobt, stelle ich mir vor, dass ich irgendwo am Strand sitze. Barfuß. Ein laues Lüftchen streicht durch meine Haare, das Meer glitzert golden. Statt Bestellungen aufzunehmen, atme ich Lebensfreude. Statt Reklamationen höre ich Wellenrauschen. Statt Küchenschicht – Sonnenuntergang.

Kurz darauf reißt mich jemand aus meinen Träumen: Die Bankomatzahlung funktioniert wieder nicht. Tisch 7 hat Sonderwünsche. Der Großhandel hat – mal wieder – die falsche Ware geliefert. Willkommen zurück – mitten in der Salzburger Altstadt. In meinem Alltag als Gastronomin.

Es gibt Tage, da will ich alles nur liegen und stehen lassen. Die Schürze an den Haken hängen. Auswandern. Ich habe Erlebnisse genug gesammelt, um eine ganze Enzyklopädie zu füllen – voller Anekdoten über spezielle Gäste, technische Pannen, durchgetaktete Wochen.

Doch es gibt nicht nur Herausforderungen. Es sind auch all die kleinen Gesten, die mein Leben heller machen. Der freundliche ÖWD-Mitarbeiter zum Beispiel, der das Einfahrtstor geduldig offenhält, bis ich mit meinem Fahrrad draußen bin – und mich immer mit „Hallo Chefin“ begrüßt. Oder die Gäste, die mir mit ehrlicher Dankbarkeit, Herzlichkeit und Anerkennung begegnen.

Und genau in diesem bunten Geflecht aus Menschen und Momenten fand ich jemanden, der meinem manchmal fordernden Alltag noch einmal ganz neues Licht schenkt. Spanier. Ausgebildeter Opernsänger. Gefunden habe ich ihn über Umwege – oder er mich. Heute ist er einer meiner Lichtblicke.

Er bringt nicht nur Professionalität und Tempo mit, sondern auch etwas, das im hektischen Gastronomiealltag oft verloren geht: echte Freude. Er trällert Geburtstagsständchen für Gäste, singt während er die Kaffeemaschine reinigt – und seine Herzlichkeit wirkt, als hätte jemand die Klimaanlage auf Menschlichkeit umgestellt.

Neulich ist mir mein kleiner Handspiegel auf den Boden gefallen und in mehrere Teile zersprungen. Ich hab mich geärgert, mehr über die Symbolik als über das Ding selbst. Am nächsten Tag überreichte er mir einfach so einen neuen Spiegel. Nichts Teures, aber es kam von Herzen. Hinzu kam ein rotes Armband mit sieben Knoten.

„Ab jetzt bist du immer und überall geschützt“, sagte er – und schenkte mir dabei sein gewinnendes Lächeln, das jede Müdigkeit für einen Moment vergessen lässt.

Ich trage es jeden Tag. Es erinnert mich daran, dass nicht alles perfekt laufen muss, damit es gut ist. Dass Licht manchmal von ganz unerwarteter Seite kommt. Und dass ich trotz allem – oder gerade deswegen – gesegnet bin.

Vielleicht werde ich irgendwann wirklich am Strand spazieren gehen und meine Bestseller schreiben. Vielleicht. Aber heute, hier, zwischen Espresso und Eierschwammerl-Risotto, trage ich mein rotes Armband – und bin dankbar.

© Elisabetta_Ardore 2025-08-03

Genres
Biographies
Moods
Emotional, Inspirierend, Reflektierend
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