Skifahren auf Sylt

Daniela Krammer

by Daniela Krammer

Story

Der Fußtritt hilft nicht. Auch nicht das Trommeln und die Flüche. Erst als ein Mitleidender den Stecker zieht und wieder einsteckt, ist der Automat bereit, uns ein paar Weinflaschen auszuspucken. Der Automat hat eine wichtige Rolle hier. Er ist der einzige, der Alkohol und andere Getränke im Umkreis von einigen Kilometern herausrücken kann. Der einzige Kiosk hier in der Volkshochschule Klappholtal auf Sylt hat nämlich nur an wenigen Stunden und das nicht täglich geöffnet. Und am ersten Abend nach einem intensiven Kennenlerntag eines Seminars musste das jetzt einfach sein.

Begonnen hat der Tag mit einer Zugfahrt von Hamburg nach Sylt. Der Bus bringt uns die letzten Kilometer zur angegebenen Adresse. Klappholtal. Als wir aus dem Bus steigen, sehen wir erstmal nichts außer eine Straße und viel Sand. Schließlich ist Sylt genau das: ein Sandhaufen. Aber was für einer. Die Landschaft zieht uns sofort in Bann. Sanfte Hügeln, niedrig wachsende Rosengewächse, die dafür sorgen, dass der Sand nicht völlig verblasen wird. Und kilometerlange Sandstrände hinter den Dünen. Allerdings mit einer Nordsee, die mit dem sanften Mittelmeer nichts zu tun hat. Aus meiner Sicht eisig kaltes Wasser wird dafür sorgen, dass ich genau einmal bis zum Bauchnabel ins Wasser komme. Ganz im Gegensatz zu den Teilnehmerinnen des Yoga-Kurses, die ich morgens um 7 dabei beobachte, wie sie sich nach dem Morgengruß nackt in die Fluten schmeißen. Meine Bewunderung ist grenzenlos, mein Kälteempfinden aber auch. Die Nordsee will von mir definitiv nur vom Strand aus bewundert werden.

Eingemummt sitzen wir abends in den Strandkörben – es hat höchstens 15 Grad – als der Drang nach einem geselligen Glas Wein übermächtig und der Automat deshalb drangsaliert wird. Mit unserer Beute werden wir bis weit nach Mitternacht feiern. Werden verzaubert sein, als um 23.00 Uhr die Sonne ins Meer fällt und nie gesehene Farben an den Himmel malt. Selbst die Kopfschmerzen, die der Müller Thurgau aus dem Automaten verursachte, werden mit 2 Aspirin leicht zu ertragen sein.

Die Woche auf Sylt war ein Rausch an Selbsterfahrung, an Landschaft und an Durchatmen. Und der letzte Abend war unübertrefflich. Ein riesiges Lagerfeuer, rundherum alle Kursleiter und ihre Teilnehmer. Yoga, Landschaftsmalerein, Ausdruckstanz, systemische Selbsterfahrung. Die Flaschen wurden diesmal schon vorsorglich am Nachmittag vom Kiosk gekauft und alle schunkeln zu: An der Nordseeküste. Da sagt unsere Kursleiterin in breitem Berlinerisch: “Mensch, ihr Wiener, jetzt singt doch auch mal was! Ihr seid doch Musiker!”

Mein Mann grinst schelmisch und stimmt an: “Am Freidog auf d’Nocht, montier i de Schi…” Alle schauen verduzt, ich stimme ein: “auf mei Auto und daun begib i mi” aber dann gehts richtig los. Denn immer mehr stimmen in den Text ein: “Ins Stubeitoi oder noch Zell am See! Weil dort auf die Berg obm ist oiweu a leiwander Schnee!” Und spätestens jetzt singt jeder am Lagerfeuer:”Schiiiiiiifoarn!”

© Daniela Krammer 2021-01-26

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