Nach über 4.000 Kilometer und drei Tagen endete unsere Reise mit der Transsibirischen Eisenbahn in der ehemals verbotenen Stadt Wladiwostok. Sie liegt in etwa auf dem gleichen Breitengrad wie Florenz. Laut Informationen des Reiseveranstalters waren wir überhaupt die erste österreichische Reisegruppe in Wladiwostok.
Aufgrund ihrer strategischen Bedeutung als Hauptstützpunkt der sowjetischen Pazifikflotte war sie von 1958 bis zum Ende der Sowjetunion 1991 für Ausländer gesperrt. Ein besonderer Augenblick, wenn man als Erster Zutritt zu diesem über dreißig Jahre bestehenden Sperrgebiet erhält.
Wie schon in Moskau zeigte sich hier das gleiche Bild. Der Zerfall der Sowjetunion war überall bemerkbar. Zu dem schon gewohnten Bild der desolaten und bauwürdigen Infrastruktur kam der Eindruck eines riesengroßen Schiffsfriedhofs der am Boden liegenden, ehemals stolzen sowjetischen Pazifikflotte im Hafen von Wladiwostok. Massenhaft dicht gedrängt rostiges Kriegsgerät gestrandet an Land oder teilweise halb versunken im Hafenbecken, kaputte U-Boote seitlich liegend als Zeichen des wirtschaftlichen und politischen Bankrotts im Wettrennen um die Weltherrschaft. Überall spürbare Tristesse und Hoffnungslosigkeit bestimmten den Alltag.
Bei diesem Anblick wurde man sehr nachdenklich. Nicht auszumalen, was passiert wäre, wenn da einer die Nerven verloren hätte. Der „rote“ Knopf für den Einsatz von Atomwaffen wurde glücklicherweise nicht gedrückt.
Ein ähnliches Bild zeigte sich auch auf dem Flughafen in Wladiwostok. Gegen Mitternacht checkten wir ein und standen erwartungsvoll vor der für uns reisefertig erscheinenden Ijuschin II-62 – dem sowjetischen Gegenstück der amerikanischen Boeing 707 – auf dem Rollfeld. Knapp vor dem für 01:35 Uhr geplanten Abflug kam dann die Hiobsbotschaft. „Wegen eines Maschinenschadens kann das Flugzeug nicht starten“, hieß es. Der nächste Flug geht erst um 05:40 Uhr. Betretene Mienen machten sich breit. Eine schlaflose Nacht im Warteraum auf harten Sitzen stand bevor, resignierend akzeptiert und alternativlos.
Dieser Flug war dann insofern noch eine große persönliche Herausforderung, hatte ich mir doch bei einem japanischen Essen in Wladiwostok eine Magen-Darm-Vergiftung mit „Dünnpfiff“ im wahrsten Sinne des Wortes eingefangen. Mit einer Cola ausgerüstet „überlebte“ ich diesen für mich ewig in Erinnerung bleibenden Flug nach Moskau. Allein der Weg auf die Bordtoilette – zig-fach notwendig – war eine Tortur durch enge Sitze und viel Reisegebäck im Gang.
Aufgrund der Zeitverschiebung landeten wir nach neun Stunden Flugzeit bereits zwei Stunden später in Moskau. Als wahre Erlösung fühlte sich das Einchecken im dortigen Hotel an. Endlich, erlöst von den „doppelten“ Strapazen, eine Dusche und Toilette für sich allein, mehr Wunscherfüllung war zu diesem Zeitpunkt nicht mehr möglich.
Foto von Valeriy Labushkin auf Unsplash
© Christian H. Moser 2021-02-08