Sprachliche Gustostückerln

Klaus Schedler

by Klaus Schedler

Story

Nicht nur wir verändern uns, sondern mit uns natürlich auch alles um uns herum. Selbstverständlich geschieht dies auch mit unserer Sprache. Ich bin seit 50 Jahren in Österreich daheim. Mein ältester Bruder lebt in Deutschland und war dort Gymnasiallehrer für Deutsch. Seit seinem Studium hegt er ein besonderes Interesse für österreichische Gegenwartsliteratur und zeigt eine spezielle Freude an Austriazismen. Eben erst war er bei Eva Menasses Dunkelblum-Roman fündig geworden. Das im Roman ausgedrückte Verschweigen der schuldhaften Verstrickung von Zeugen eines Nazi-Verbrechens, wird sprachlich gekonnt durch die Darstellung des beschaulichen Lebens der Landleute überdeckt. Soeben schickte er mir die ellenlange Liste seiner Ausbeute an für ihn neuen österreichischen Begriffen.

Ich antwortete: «Zu den Austriazismen: Ich kenne zwar fast alle, doch verwende ich sie so gut wie gar nicht, weil man mir die nicht abnehmen würde. Das hängt unter anderem damit zusammen, dass fast alle Begriffe milieuabhängig Verwendung finden. So ist das Wort „Häfn“ für Gefängnis Gaunersprache. Lustig ist, dass dasselbe Bild auch in Charles Dickens‘ Oliver Twist auftaucht, wenn beispielsweise Fagin, Hehler und Chef einer Kinderdiebsbande in den „Mug“ (also „Häfn“, somit ins Gefängnis) muss.

Ein anderer Begriff ist der „Schammes“. Es ist dies eine Verballhornung des engl. Vornamens James, den in der Literatur üblicherweise die Hausdiener oder Butler tragen. Eindeutig ist dabei die sprachliche Anlehnung an das Jiddische. Hier ist der Ursprung des „Schlacken-Schammes“ zu finden, denn das ist der nicht-jüdische Hausdiener, der bei wohlhabenden Juden am Shabbat den Ofen ausräumen und heizen darf.

Besonders schön sind im Wienerischen jene Worte, die eine Liebe zum Französischen erkennen lassen. Anders als die „Deitschen“, die (horribile dictu) vom „Kartong“ und vom „Balkong“ reden, kommt dem Wiener das „Souterrain“ perfekt über die Lippen. Weiteres Beispiel ist der „Gastgarten“. Diese heißt in Wien „Schanigoartn“, weil der „Schani“ (eigentl. Johannes, Kurzform Hoans, franz. bzw vornehm Jean, diminutiv Schani) den Kaffee nach draußen bringt. Auch gibt es seit dem 19 Jh. in Wien ein Grätzl (das ist ein Wr. Wohngebiet) mit dem englischen Namen „Cottage“. Anstatt nun aber „‘Cottidsch“ (Betonung auf der ersten Silbe) zu sagen, verwendet man in Wien das Wort „Co’täääsch“ (und betont also die zweite Silbe). Dazu kommt ein eigentümlicher Artikel, sodass der ganze Satz lautet: „I wohn in der Cot’äääsch“. Dieses Französisch verstehen nicht einmal die Franzosen. Zum Abschluss noch mein auf Wienerisch geböhmakelter Lieblingssatz: „‘Hasmasterova putzo’vaat Hausherrn’novi ‘Winterrok nar ‘Gangu“. Lösung: Das ist Deutsch, nur mit tschechischer Grammatik und bedeutet: „Die Hausmeisterin bürstet den Wintermantel des Hausherrn auf dem Gang aus“.

Womit bewiesen ist, dass Sprache mit uns lebendig bleibt.»

© Klaus Schedler 2022-01-25

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