Spurensuche in der Arena von Lutetia

Carina Senger

by Carina Senger

Story

Neben dem Eiffelturm, Notre Dame und Sacre Coeur, stand das ehemalige Amphitheater ganz oben auf meiner Besichtigungsliste. Mich überraschte, dass sie unter Touristen als Geheimtipp galt, schließlich war sie eines der ältesten Bauwerke der Stadt. Aus meinem Reiseführer wusste ich aber auch, dass die Arena nach ihrer Glanzzeit als Theater und Schauplatz für Gladiatorenkämpfe als Steinbruch gedient hatte. Heutzutage war sie unter Rentnern ein beliebter Treffpunkt, die sich hier zum Boule spielen trafen. Ich traute meinen Augen kaum. Der Ort, an dem blutige Gladiatorenkämpfe veranstaltet worden waren und Christen den Raubtieren zum Fraß vorgeworfen wurden, war zu einer Art überdimensionaler Spielplatz geworden?

Was mir beim Betreten der Arena als erstes auffiel, war die Nähe der angrenzenden Häuser zu der Ruine. Sonst kannte ich Bauwerke dieser Größe als mehr oder weniger freistehend, nicht so hier. Direkt hinter der Tribüne ragten mehrstöckige Apartmenthäuser in die Höhe. Es war ein sonniger Herbsttag und auf dem Sand der Arena spielten einige älteren Herren Boule. Auf den Tribunen saßen die Menschen in Grüppchen zusammen und unterhielten sich. Auf der Wiese hatten es sich mehrere Familien auf mitgebrachten Decken gemütlich gemacht und picknickten. Angesichts der blutigen Geschichte des Ortes, empfand ich es als seltsam unpassend, dass sich mir eine Szene wie aus Pleasantville bot. Schwer vorstellbar, wie die wohl größte Unterhaltungsstätte der Stadt gewirkt hatte, wenn die Ränge mit jubelnden Zuschauern besetzt waren und Theaterstücke aufgeführt wurden. Oder wenn Gladiatoren um ihr Leben kämpften.

Da ich aber schon da war, setzte ich mich auf die Überreste der Tribüne und packte meinen Reiseführer aus. Lachen, Sonnenschein, gelassene Sonntag-Nachmittag-Atmosphäre. Unwillkürlich fragte ich mich, was wohl die Menschen denken würden, die in der Arena ihr Leben gelassen hatten. Dann schüttelte ich den Gedanken ab und widmete mich den Daten. Vielleicht würden ja ein paar trockene Zahlen meine Fantasie befeuern? Ich las, dass die Arena und die Thermen von Cluny die einzigen noch sichtbaren Zeugnisse der galloromanischen Epoche in Paris waren. Ca. 15.000 Menschen fanden Platz in der Arena und sie war ursprünglich 132 Meter lang und 100 Metern breit. Erbaut worden war sie zwischen dem 1. und Ende des 2. Jahrhunderts. Ich hob den Kopf, brachte aber die Information über die Arena in ihrer Glanzzeit nicht mit der Ruine, die ich sah, in Einklang.

Ich stand auf und verließ die Arena durch den Gang, durch den in einer früheren Zeit die Gladiatoren eingelaufen waren. Als ich mich umdrehte und auf das helle Licht am Ende blickte, musste ich lächeln. Fast hörte ich den frenetischen Applaus der Massen, roch ihren Schweiß und ihre Aufregung. Ganz verloren war die Atmosphäre von damals also nicht. Man musste nur ein bisschen suchen.

© Carina Senger 2021-05-11

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