Erwachsene ab 50, die sich verwandeln. Nicht freiwillig, sondern vom Schicksal anscheinend willkürlich auserwählt. Keine Sorge, das ist keine Zombie-Apokalypse, wenngleich die Thematik gruseliges Popcorn-Kino im Blätterwald verspricht.
Café Museum: Im Extrazimmer, wo sich bunte Buchrücken mit teils bekannten Titeln vorwitzig in die Regale schmiegen, liest Alina Lindermuth aus ihrem neuesten Roman. Draußen staut sich die Hitze des Juliabends in der dicht verbauten Operngasse, während im Inneren des Altwiener Kaffeehauses die Klimaanlage angenehm temperiert. Seit vielen Jahren schon lockt das prestigeträchtige Lokal, das so wie das Café Mozart oder das berühmte Landtmann gegenüber dem Burgtheater, das von der Familie Querfeld betrieben wird, mit anspruchsvoller Literatur bei Kaffee und Kuchen.
Die klare Stimme der blonden Villacherin macht ihr erwartungsvolles Publikum mit der Rahmenhandlung des von der Zeitschrift Woman als Thriller titulierten Werkes vertraut: Die Ärztin Ronja und der Sprachwissenschaftler Elio bauen sich soeben eine gemeinsame Zukunft in den Alpen auf, als ein beängstigendes Phänomen, das sich weltweit ausbreitet, ihr Leben verändert. Die Verwandlung von Menschen, die Hauptverursacher der klimaschädigenden CO₂-Emissionen sind, in Bäume beschränkt sich nicht nur auf ältere, sondern macht selbst vor jüngeren nicht mehr Halt. Die Umwelt wehrt sich gegen die langjährige Zerstörung durch Menschengier und die entmenschlichten Bäume sollen mithilfe der Photosynthese wieder für ein besseres Klima sorgen.
Der exzentrische Plot wirft viele Fragen auf: Wie würden wir uns fühlen, wenn unsere Knöchel plötzlich zusammenwüchsen und sich Wurzeln aus unseren mit Borke überwucherten Füßen auf der Suche nach Nahrung durch die Gegend schlängelten? Bestimmt hätten wir Angst, denn unser bisheriges Dasein wäre durch die sogenannte Dendrose sowie das Einpflanzen unserer metamorphen Erscheinung in Erde für immer und ewig ad acta gelegt. Die fantastischen Ideen der Absolventin der Wirtschaftsuniversität, die nicht nur den fiktiven Begriff Dendrose, der sich aus den altgriechischen Termini Dendron für Baum und Metamorphose für Umwandlung zusammensetzt, kreiert hat, kann man zu Recht als skurril bezeichnen. Denn die Baummenschen werden nach ihrem Ableben als nunmehriges Totholz zu Ahnenmöbel verarbeitet. Neue Geschäftszweige tun sich letztendlich auf und sogar die Kirche meldet sich zu Wort: Bereits in der Bibel symbolisiert der Baum des Lebens Unsterblichkeit, sprich ewiges Leben. Selbst in der griechischen Mythologie verwandelt sich die Nymphe Daphne auf der Flucht vor dem liebestollen Apollon in einen Lorbeerbaum.
Der Umweltthriller verwebt geschickt die stringenten Fäden der Dystopie, Lovestory sowie Stammzellenforschung zu einem unterhaltsamen Roman, der uns zum Innehalten und zum Nachdenken über unsere eigene Zukunft und jene des blauen Planeten anregt.
© Silvia Peiker 2025-08-03