Mein Zimmer ist voll von Steinen – kleinen, großen, unförmigen, runden. Sie liegen auf Regal- und Fensterbrettern, nehmen nicht nur Platz, sondern Raum ein.
Man sagt mir, ich solle entrümpeln. Es heißt, Schweres und Hartes müsse entsorgt werden. Aber Steine sind nicht nur Steine. Meine sind mit bunter Farbe bedeckt. Wann immer ein neuer Kiesel in meine Hände oder auf mein Herz gelegt wurde, trug ich dieses Geschenk wie einen Schatz an meinen Tisch und begann ihn liebevoll zu untersuchen. Ich griff zu meinen Pinseln, öffnete Acryltuben und nutzte die kalte Oberfläche zum Malen. Es gab immer eine schöne glatte Kante oder einen interessant geformten Bauch zu verschönern. Manchmal entdeckte ich fossile Muschelabdrücke, wabenartige Strukturen und einmal sogar eine versteinerte Blüte.
Steine sind nicht für Wände gedacht, sondern beschweren Möbel. Eines Tages fiel eines meiner bunten Kunstwerke beim Staub wischen auf den Boden und brach entzwei. Der von außen gelb-orange strahlende Strandstein voll kindlich reiner Erinnerung brach entzwei und offenbarte einen grauen Kern.
Ich weinte. Dabei kam ich mir verdammt dämlich vor. Wie konnte ein Stein mir so nahe treten, dass ich heulen musste? Dann drehte sich der Gedanke in meinem Kopf. Wie konnte ich einen Stein überhaupt so nahe an mich heranlassen, dass er die Macht hatte, mir wehzutun?
Mir wurden viele Steine in den Weg gelegt und ich dachte, es seien Geschenke. Kleine Gaben, von denen ich annahm, sie seien viel wert, weil ein anderer Mensch sich die Mühe gemacht hatte, meinen Weg zu kreuzen, um sie abzuladen. Und ich? Ich war nicht bloß über sie gestolpert, sondern hatte sie in meine Taschen gesteckt und damit jeden weiteren Schritt schwerer gemacht.
Aber auch wenn es nur die Oberfläche ist, die bunt ist, will ich sie nicht fallen lassen. Hänsel und Gretel taten genau das, um einen Weg in das Haus zurückzufinden, von dessen Bewohnern sie parallel in die Irre geführt wurden. Obwohl ich meine kleinen Kiesel nicht fallen lasse, bin ich den beiden Märchenkindern gar nicht so unähnlich. Paradox, nicht?
Menschen haben mir Steine in den Weg gelegt, obwohl es Leinwände hätten sein können. Wenn ich diese Menschen treffe, argumentiere ich für Liebe und Vertrauen, plädiere auf Entschuldigungen. Ich weiß, ich verdiene eine Leinwand. Aber fallen lassen kann ich meine alten Steine auch nicht. Meine Kunst konnte nur entstehen, weil man mir eine Basis gegeben hatte. Diese klumpige Schwere war so lange mein Anker in persönliche Tiefen, mein Ausdrucksmittel kreativer Gedanken. Also hebe ich die zerbrochenen Stücke auf und lege sie zurück auf mein Regal, als wäre nichts passiert. Ich behalte sie und das fühlt sich erleichternder an als es sollte.
© Vanessa Stöter 2023-04-18