Steirerblut, Himbeersaft und Heroin

Hannes Stuber

by Hannes Stuber

Story

[1977] Wir saßen zu zweit im Chaos einer zu renovierenden Wohnung im sechsten Wiener Bezirk und waren zuletzt mit dem Ausmalen beschäftigt. “Glaub mir, ich werde keine dreißig Jahre alt”, sagte Mandi und starrte mich aus glasigen Augen an. “Jimi Hendrix hat das auch von sich gewusst.”

Regelmäßig ging Mandi in einen Nebenraum und setzte sich einen Schuss Heroin. Mir war das nicht recht, aber ich konnte nichts dagegen tun. Er war süchtig. Meinen Einwänden, er würde sicher älter als dreißig werden, widersprach er. “Keine dreißig!” wiederholte er. Er war Mitte der zwanzig, zwei Jahre älter als ich.

Groß und von kräftiger Statur, ein steirischer Naturbursche mit langen glatten blonden Haaren, schien Mandi quasi unverwundbar zu sein. Er stammte aus St. Sebastian bei Mariazell, lebte abwechselnd in Wien und in einem allein stehenden Haus im Ramertal, einer Art Hexenhaus, im Naturschutzgebiet bei Mariazell. Hier herrschte eine göttliche Ruhe. Das Haus kostete dreißig Schilling Pacht im Monat. Es gehörte den Bundesforsten und war ein Zuhause für Waldarbeiter gewesen. Wasser und Klo gab es draußen, elektrisches Licht keines. Abends standen Rehe um das Haus.

Mandi und Oskar, ein gemeinsamer Freund, zogen nach Amsterdam und bewohnten für einige Monate ein Squat-Haus. Auf der Heimfahrt holten die Zöllner den langhaarigen Mandi aus dem Zug. Das Stück Haschisch, das er mit sich führte, zerkaute er vor ihren Augen und schluckte es. Ohne Beweis mussten sie ihn ziehen lassen. Aber in Wien war er dann krank. Es gab viel billiges Heroin in Amsterdam. Und Mandi war wieder süchtig, seine Leber am Ende.

Die Ärzte im AKH gaben ihm noch ein halbes Jahr zu leben. Nun ernährte er sich streng makrobiotisch, ohne Drogen, und ließ sich mit Moksha behandeln. Als er nach sechs Monaten zur Untersuchung ging, war die Leber in Ordnung und der Arzt überrascht und diagnostizierte eine Spontanheilung.

In Wien schaute Mandi TV ohne Ton und spielte dazu Rockmusik vom Band. Er lebte in der Wohnung von Jutta, einer Freundin. Es dauerte nicht lange, bis er wieder mit Heroin begann. Er gab der hektischen Stadt die Schuld. In der Steiermark, am Land, lebte er gesund, makrobiotisch und trank Himbeersaft. In Wien ließ er sich gehen, nahm Drogen und trank Remy Martin. Die Stadt machte ihn unglücklich, doch hier gab es die Arbeit, das Einkommen.

Vier Jahre nach unserer Zusammenarbeit fuhr er mit Fritz, dem jüngeren Bruder Oskars, auf dem Landweg nach Indien, vielleicht wegen des billigen Heroins. Er kam nicht mehr zurück. Er starb er an einer Trinkwasservergiftung, hieß es. Ob das stimmte, wusste keiner. Am Rückweg aus Indien hatte Fritz in Teheran noch Heroin für Mandi besorgt. Sie wussten vermutlich, dass es mit ihm unweigerlich zu Ende ging, denn sonst hätte Fritz einen Arzt gerufen. Man begrub den steirischen Naturburschen im Iran. Seine Eltern wollten den Sohn nicht in der Heimat haben. Er wurde neunundzwanzig Jahre alt.

© Hannes Stuber 2019-12-21