by Franz Öfner
Mein Arbeitstag geht zu Ende, die Gäste sind zufrieden in ihren Zimmern. Ich liege ausgestreckt auf meinem Bett und der Tag zieht im Zeitraffer vorüber. Er war gut, nichts ist passiert, keine Verletzungen und die Stimmung in der Gruppe ist ausgeglichen.
Es ist für diesen Somme die letzte Gruppe in Grönland die ich führe.
Morgen noch die lange Tour, 26 km entlang des eisfreien Uferstreifens am Eismeer. Zum Abschluss die letzten zwei Tage dann im Inlandseis. Für mich als Guide die schwierigsten, weil die Konzentration der Teilnehmer schon nachlässt und die Natur noch unberechenbarer ist. Kleine Fehler, der sonst kaum Auswirkungen haben, können am Inlandseis binnen weniger Stunden zu einem großen Problem werden.
Ich setze mich auf, ziehe mir die warme Überjacke an, es zieht mich noch einmal hinaus. Jedes mal, wenn ich die Tür der Hütte öffne, habe ich das Gefühl in ein unendliches Naturtheater hineinzusteigen.
Wenige Schritte und ich bin bei den Felsen die steil in das Eismeer abfallen. Jeder Felsen schreibt eine Geschichte und die tiefen Rillen im Granitstein erzählen davon. Millionen Tonnen Eis haben in endlos langer Zeit tiefe Kerben in den Felsen geschnitten. Der Gletscherschliff versinnbildlicht die Urgewalt von Eis.
Ich sitze auf dem glatten Felsen, es ist Mittsommernacht und 24 Stunden am Tag geht die Sonne nicht unter. Ich schau auf die Uhr, fast schon Mitternacht und die tiefstehende Sonne taucht das Meer in eine goldfarbene Stimmung aus der sich die schneeweißen Eisberge noch stärker abheben.
Am Horizont des tiefblauen Eismeeres liegt eine flache Nebelbank. Ein gutes Zeichen, das Wetter bleibt schön.
Um mich herum lebt die Natur. Gräser und winzig kleine Blumen mit noch kleineren Blüten nutzen die kurze Sommerzeit um ihre Schönheit zu zeigen. Handtellergroße gelb-orange Flechten schmücken den Fels. Wie unendlich geduldig ist hier die Natur, diese Flechten sind schon hunderte Jahre alt.
Und plötzlich aus dem Nichts spüre ich es. Stille, absolute Stille und kein Geräusch ist zu hören. Kein Wind, kein leises schlagen der Wellen gegen die Felsen, nichts nur Stille. Bewegungslos sitze ich da um diesen Augenblick nicht zu zerstören.
Ich bin zwischen Angst und Euphorie hin und her gerissen. Ist etwas mit mir, habe ich das Gehör verloren, sind es meine letzten Augenblicke in diesem Leben oder bin ich Zeuge eines grandiosen Naturschauspieles. Ich habe das Gefühl irgend etwas ist um mich, nicht hörbar und nicht sichtbar, etwas Unbeschreibliches.
Die Zeit steht still und nichts ist wichtig, der Augenblick hier und jetzt zählt. Ich möchte diese Stille festhalten und in ihr bleiben. Das Zeitgefühl verlässt mich und erst jetzt registriere ich, dass ich wieder in meiner Hütte bin.
Grönland die größte Insel der Welt, bedeckt mit Eis, ich hoffe es bleibt noch lange so.
© Franz Öfner 2019-04-27