Stille mit einem Lächeln

Gittisworld

by Gittisworld

Story

Aufarbeitung ist so ein geflügeltes Wort. Jeder von uns hat sein Päckchen zu tragen und auch genau so viel aufzuarbeiten. Du wirst gefragt, ach meine Liebe, wie geht es dir jetzt eigentlich nach den vielen Jahren der Entbehrungen, welche du ja fast 25 Jahre hattest. Noch vier Jahre nach dem Tod meines schwer beeinträchtigen Sohnes werde ich noch manches Mal gefragt, ob ich jetzt meine Tage in Saus und Braus, na ja nicht genau so, aber es kommt aufs Gleiche hinaus erlebe.

Was hat sich danach eigentlich wirklich geändert? Nicht viel. Ich dachte doch tatsächlich, jetzt darfst du wieder zurück ins Arbeitsleben, den Kontakt zu neuen Menschen und Kollegen knüpfen, denn es war schon recht einsam, ohne die Kontakte zu den Leuten. Denn viele haben einen großen Bogen um uns gemacht, somit ging ich voll und ganz in der Arbeit mit meinem beiden Söhnen auf. Der eine war hyperaktiv, ein altkluges Kind mit viel Energie, welche mit Freizeitaktivitäten abgearbeitet wurde. Jede Sportart, ehrlich jede, so kommt es mir halt vor, würde ausgetestet, ausprobiert, nach kurzer Zeit wieder unattraktiv befunden und so ging es lange, bis wir das Reiten für uns entdeckt hatten. Mein schwer beeinträchtigter Sohn hatte ja eine Hypotherapie. Dort blühte er in seiner gefangenen Stille, richtig auf. Er konnte zwar weder laufen noch sprechen, war im Alter von sechs Monaten oder vielleicht etwas mehr stehen geblieben, doch seine Augen, seine Gesten, sein Lächeln, sein, ich beiß dich mal ganz kurz, weil ich dich so wahnsinnig furchtbar lieb hab, sein lautes Jauchzen, ja das kriegte er hin, sein in die Hände klatschen, das alles machte die Stille in seinem nicht sprechen können, zu einer Nichtstille, die vieles zu sagen und erzählen hatte.

Genau da fand auch der zweite jüngere Bruder zur Liebe zum Pferd. Und für so kleine Zappelphilip war das einfach ein herausfordernder Sport. Mit dem Voltieren hat es begonnen, bis wir dann zum richtigen Reittraining kamen. Juhuu, wir hatten etwas gefunden, was für uns alle gut. Eine Wohltat war das für mich. Hier konnte ich mal die Zeit für mich genießen und Zusehen, wie meine beiden Söhne auflebten. Denn mein kleiner Mann wurde sehr oft in der Ecke stehen gelassen, da sein großer Bruder im Rollstuhl saß. Kinder können schon sehr grausam sein, wenn es um Freundschaften aufbauen geht. Zwei bis drei Kinder waren zu seinem Glück immer da, die mit ihm spielen oder etwas unternehmen wollten. Da waren die Berührungsängste auch den Eltern nicht da. Wir trugen wohl alle eine Stille in uns, mit der wir jeder für sich und gemeinsam leben lernten. Man lernt sehr viel, wenn es um einen und seine Familie rundherum fast immer still ist.

Wie gesagt, ich freute mich auf das Arbeitsleben. Es kam anders. Ich wurde aufgrund meiner eigenen gesundheitlichen Situation in den Ruhestand befördert.

Stille umgibt mich noch immer. Freundschaften hab ich geknüpft, dankbar bin ich dafür, denn das nimmt etwas von der Stille in mir.

Aufarbeitung dauert ein Leben lang.

© Gittisworld 2021-08-25

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