Strandspaziergang

Janna Menz

by Janna Menz

Story

Der Sand färbt sich unter dem Gewicht meines Körpers dunkel. Die Feuchtigkeit des Bodens quillt durch viele kleine Löcher an die Oberfläche. Ich betrachte das kleine Schauspiel zu meinen Füßen. Die abertausenden Sandkörner unter meinen Sohlen tragen mich. Wie skelettierte Hände aus einem Grab greifen sie nach mir und lassen mich nicht weitergehen. Der Schlick und das Watt verschmelzen zu einer schier unüberwindbaren Masse. Wie Treibsand schlingt sich der Matsch um meine Gedanken. Ich versuche angestrengt dieses grausige Bild aus meinem Kopf zu verbannen und zwinge mich hoch zu blicken. Auf die Weite des Strandes. Und auf das Meer. Die Wellen quellen auf wie Hefeteig und ergießen sich in Schaumkronen am Ufer. Sie spülen grau glänzende Algen an den Strand. Wie Haare von Meerjungfrauen schweben sie auf den weißen Bergspitzen der rauen See. Wiegen auf und ab und werden fortgerissen. Ich will die Knoten aus den Algenhaaren kämmen, meine Finger durch die einzelnen Strähnen gleiten lassen, aber traue mich nicht näher an sie heran. Sie sollen ihre mystische Ausstrahlung nicht verlieren und mich in dem Glauben lassen, dass dort tief unten im Meer noch mehr Nixenhaar darauf wartete, an den Strand gespült zu werden. Zwischen Schaumbergen und Meeresrauschen tobt der Wind und weht mir immer mehr Sandkörner an die nackten Knöchel. Die kleinen Nadelstiche lassen mich aus meinen Tagträumen erwachen und ich versuche mich zu ordnen – hier am Strand fühle ich mich frei. Ich kann mich gegen den Wind lehnen, die Arme ausbreiten, meine Gedanken ausschalten, meinen Körper wahrnehmen und mich gleichzeitig so leer fühlen. So leer, dass mich der Wind tragen könnte. Mit der nächsten Böe bekäme ich Aufwind, könnte mit meinen ausgestreckten Armen endlich fliegen. Leicht und bedächtig würde ich meine Füße vom Boden lösen. Ohne Anstrengung und ohne je darüber nachgedacht zu haben, wohin mich der Wind trägt, hätte ich eine Route im Kopf und könnte federleicht davon segeln. Neben Möwen nisten und für immer das beobachten, was ich gerade sehe. Doch meine Füße lösen sich nicht vom Boden. Nicht so luftig und leicht, wie ich es mir wünsche. Ich bleibe haften. Mit Sand zwischen den Zehen. Ich nehme mich zusammen, bewege meine Muskeln. Wie ungewohnt doch manchmal die kleinsten Bewegungen sind, wenn man sich nur darauf konzentriert. Um mich herum immer noch die tosenden Geräusche tausender Autobahnen. Und dann die Frage: klingt das Meer wie das Rauschen der Autos in meiner Heimatstadt oder klingt der Verkehrslärm einer Großstadt wie das Meer meines Sehnsuchtsortes? Wie einfach es wäre, hier zu bleiben, in den Dünen. Zu fühlen und zu schauen. Aber das Leben verlangt einem mehr ab. Das Leben erwartet mehr von mir. Oder erwarte ich mehr vom Leben? Mehr als das Wasser, den Strand und den Wind. Dieser allumfassende Wind, der mich in sich und seine Kraft höhlt und mir den Atem nimmt. Wenn ich den Mund aufmache und die Augen aufreiße und im Wind stehe, verlassen mich die Sinne. Seltsam, wo doch die ganze Macht der Luft auf mich wirkt. Der Wind strömt in meine Organe und doch kann ich nicht atmen. Denn der Druck ist zu groß. Der Druck des Windes lastet zu schwer auf meinen Flügeln und hemmt meinen Reflex Luft zu holen. Ich könnte ewig so stehen. Versuchen nicht zu atmen. Mit aufgerissenen Augen, die so starren, dass alles vor ihnen verschwimmt.


© Janna Menz 2023-08-07

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