by Musenzeit
Wie in der Zeit konserviert wirkt das Dorf. Zumindest auf den ersten Blick, bis man das internationale Stimmengewirr, die gepflegten historischen Gasthäuser und die neuen SUVs vor den Toren bemerkt.
Bis vor einigen Jahren erreichte man das im 12. Jahrhundert von den Siebenbürger Sachsen gegründete Vişcri (Deutsch-Weisskirch) nur auf unbefestigten Straßen, das hat sich geändert. Nun quillt der kleine, multikulturelle 420-Seelenort, dessen Ortswege weiterhin im Originalzustand sind, im Sommer über. Die Werbetrommel bescherte einige Restaurants und Herbergen. Geldsegen für die einen, Ressourcenmangelfluch für andere. In diesen Sommertagen tobt der unsichtbare Kampf ums Wasser. Seit Wochen ist es mit der Zuleitung des Quellwassers problematisch, der Regen fehlt. Vieh und Mensch wollen weiterhin versorgt werden. Glücklich, wer tiefe Brunnen im Hof hat. Die Touristen strömen weiter. Die Aufnahme in das UNESCO-Weltkulturerbe aufgrund der malerischen Kirchenburg aus dem 12. Jahrhundert und dem historischen Dorfkern hat seit 1999 geholfen, Baufälliges wiederaufzubauen. Auch das britische Königshaus und die Londoner Michai-Eminescu- Stiftung griffen finanzstark ein. König Charles III kaufte den royalblassblauen Hof Nr. 32 und ließ ihn zu einem Ausstellungshof zu lokaler Kultur umbauen. Die Einnahmen fließen in lokale Umwelt- und Bildungsprojekte.
Taschi, eine wolfsähnlich imposante, freundliche Hundedame, und ein zutraulicher roter Streunerkater begrüßen ab 10 Uhr “ihre” Burggäste. Geparkt werden muss am Dorfeingang. Der breite, staubige Weg zur Burg führt entlang der alten, denkmalgeschützten Höfe. In einigen Burgräumen finden sich originale Exponate aus dem Dorf. Utensilien mit Gebrauchsspuren, die davon zeugen, wie in dieser Umgebung gemeinschaftlich überlebt wurde. Am Eingang lockt der Speckturm, der noch bis in die 1990er-Jahre von allen Dorfeinwohnern das sicher verwahrte, was im harten Winter gut überleben ließ. Sonntags um 7 Uhr morgens wurde der Turm aufgeschlossen, nur dann durfte die Wochenration von der eigenen, hausnummerierten Speckschwarte unter Aufsicht und Kontrolle der Kirchenväter abgeschnitten werden. In einem anderen Raum werde ich über die Strukturen und Regeln der Nachbarschaften informiert, jener etablierten Form der Nächstenhilfe in jeder Dorfreihe, die für gemeinschaftliche Arbeiten wie Hausbau und auch kirchliche Arbeiten zuständig waren. Jährlich gab es den Richt- und Sittag, an dem sich die Männer der Nachbarschaften in einem Raum trafen, wo versöhnt, bestraft und die anfallenden Arbeiten des nächsten Jahres besprochen wurden. Der “Nachbarvater”, die Leitung für diese Tätigkeit, wechselte alle zwei Jahre.
Schwindelerregend steil geht es auf den Kirchenburgturm, der den Rundumblick auf das Dorf und die Umgebung hütet. Es sind nicht mehr viele, die hier leben und noch Speck machen. Der Speck fürs Überwintern sind nun vor allem zahlungskräftige Sommertouristen, die allerdings auch ihren Anteil fordern. Das Wasser für die Besuchertoiletten der Kirchenburg wird per Tankwagen täglich aufgefüllt. Im kleinen Hof meiner Vorfahren, an der steilen, grob gepflasterten Gasse zur Burg, nehmen wir heute Morgen wieder einmal die Kanister zur Hand. Der Nachbar hat noch etwas Brunnenwasser, das wird nachbarschaftlich geteilt…
© Musenzeit 2024-09-06