by Mira Wagener
“Und, was denkt ihr so, was nach dem Tod passiert?”
Oh nein. Ich hatte mich nicht auf diese Party geflüchtet, um nun in einem Kreis aus Bekifften schon wieder in dieses Loch hineinzustürzen. Ein Strudel, aus dem ich mich jedes Mal nur viel zu mühselig befreien konnte. Ich stand einfach auf und verließ die Gruppe. Ich ging, mit dem Cocktail-Glas in meiner Hand wieder in Richtung laut dröhnende Musik. Jedes Wochenende feiern, bloß kein Tag in Stille. Ich konnte nicht nur mit mir alleine sein.
“Wieso bist du weggegangen?”, wollte eine Bekannte schwankend wissen und nickte zu dem Kreis unserer anderen Freunde. Es war die Sorte von Bekanntschaft, die man nur von Partys anderer Leute kannte. An diesen Orten schien mich niemand so wirklich zu kennen und manchmal war mir das mehr als recht.
“Ich kann einfach nicht über den Sinn des Lebens nachdenken. Obwohl, das stimmt nicht. Ich kann es viel zu gut.” Heute war ich redselig. Vielleicht lag es am Alkohol, vielleicht lag es an der jungen Frau, die gar nicht mal so unfreundlich wirkte. “Wenn ich darüber nachdenke, kann ich nicht mehr aufhören. Und ich übertreibe nicht. Ich habe schon wochenlang jede freie Stunde gegrübelt. Als wäre es ein Zwang, der alles andere bedeutungslos erscheinen lässt. Wahrscheinlich ist es ein Zwang. Weißt du, mein Gehirn kann bewundernswert sein. Es lässt ein Thema nicht los, bevor eine Lösung gefunden ist. Aber es gibt Themen, bei denen es einfach keine Lösung gibt. Was kommt nach dem Tod? Was ist der Sinn des Lebens? Was, wenn wir ein Gehirn im Tank sind? Sowas eben. Und ich denke, grübele, ich muss eine Lösung finden. Vorher will mein Hirn nicht schweigen oder ruhen. Jede Handlung, die ich mache, ist nur mit dieser Thematik verbunden. Ich kann mich nicht mit Freunden treffen, wenn sie alle sterben und in Bedeutungslosigkeit versinken. Alles wird von dieser einen, unbeantworteten Frage bestimmt. Und mein Gehirn lässt nicht los und scheint sich in diesem Prozess selbst zu zerfleischen. Ich weiß, dass es keine Antwort darauf gibt, aber mein Gehirn ist im Forschungsmodus. Es ist unfassbar zermürbend und man fühlt sich einfach nur wie ein Gefangener.”
“Oh, sie spielen Taylor Swift”, freute sich das Mädchen. Wahrscheinlich hatte sie nicht zugehört. Verübeln konnte ich es ihr nicht, aus meinem Mund war kaum etwas Verständliches gepurzelt. Vielleicht wollte sie nicht zuhören, weil sie auf all diese komplizierten Fragen auch keine Antworten kannte. Sie ging und ich blieb alleine im Dunkeln zurück. Hier schien jeder im Moment zu leben. Wunderbar gedankenlos im Rausch. Nur leider steckte ich nicht im Rausch der Drogen. Ich war süchtig nach Antworten, nach unkonstruktiven Grübeleien. Obwohl es wohl keine Sucht war, wenn es einem keinerlei Erleichterung bringen konnte. Alles, was mich antrieb, war die hochmütige Überzeugung am Ende des Nachdenkens den Sinn des Lebens verstehen zu werden. Als wäre ich klüger als alle Philosophen vor mir, wie ich so mit einem Drink am Rande einer bedeutungslosen Party stand.
© Mira Wagener 2024-09-26