Swipe left fürs echte Leben

Heidi Reiter

by Heidi Reiter

Story

Ich muss gestehen, ich bin schon seit ich denken kann eine ziemliche Dauerquasslerin, spreche ohne Punkt und Komma und wer mich persönlich kennt, der weiß, bei mir ist es nicht immer einfach zu Wort zu kommen, wenn ich mal in Fahrt bin. Was ich aber in unserer heutigen Gesellschaft immer mehr feststelle, ist, dass das Medium Social Media immer mehr dazu einlädt, vom direkten Quatschen unter Freunden oder in netter Runde, wegzudriften und in eine virtuelle Welt abzutauchen. Ich bemerke das auch an mir selbst – denn fange ich erst mal an zu scrollen, dann glüht mein Zeigefinger und es kommt mir fast so vor als würde er von Geisterhand geführt werden. Diese Woche wurde ich von einem Kebab Verkäufer zu diesem Artikel inspiriert, denn als er mich bediente und ich mein übliches vegetarisches Kebab bestellte, starrte er auf sein Handy anstatt mich anzuschauen und nestelte an seinen Airpods herum. Ich dachte mir, der wird ja jetzt wohl nicht Musik hören, während ich mit ihm rede, aber da er meine Bestellung wahrnahm und in Zeitlupe anfing, den Kebab zuzubereiten, war ich mir sicher, das geht sich aus. Plötzlich schaute er mich an und redete ganz leise, ich antwortete, sorry ich habe nichts verstanden, aber er schaute gleich wieder in eine andere Richtung bis ich merkte, dass er mit jemanden auf Türkisch telefonierte und sich das ganze fast so wie ein Liebesgeflüster anhörte. Nach ungefähr 10 Minuten bekam ich meinen Kebab und war froh, dass ich überhaupt noch etwas bekam, denn Männer sind ja prinzipiell nicht mit Multitasking Fähigkeiten ausgestattet. Als ich dann mein herrliches Kebab genoss, fiel mir ein, welche verblödeten Sachen ich mir auf Social Media ansehe, denn anscheinend ist es ja für mich absolut essenziell zu wissen, dass eine 59 – jährige auf Instagram postet, dass sie sich trotz ihres Alters noch immer traut, an den Strand zu gehen. Wow, ganz schön mutig, das nenne ich mal ein riskantes Abenteuer. Oder ein Äffchen von KI- Technologie generiert, lächelt mich mit einem breiten Grinsen an und ich freue mich auch noch über dieses süße Lächeln und denke mir – “you made my day”. Extrem abgefahren finde ich die Kartenlegungen, die komischerweise immer bei mir aufpoppen, wahrscheinlich auch von KI gesteuert und mir erzählen, dass ich in den nächsten zwei Wochen aufpassen muss, denn irgendjemand will mir etwas Böses. Diese Message schafft es dann auch noch bis zu meinem Großhirn und ich habe wirklich Mühe, diese Gedanken wieder loszuwerden, obwohl ich ohnehin weiß, dass es Unsinn ist. Aber das absolute Maximum an Absurdität ist, wenn ein Mann im Ruderleiberl ála “Mundl”, mit Boxershorts aus Baumwolle und einem Ranzen hoch drei, vor der Kamera steht, anfängt zur Musik abzushaken und für diese Aktion auch noch abertausende von Clicks bekommt. Irgendwie finde ich das alles schon sehr verwunderlich – warum gehen wir nicht einfach mal wieder öfter in eine Kneipe, treffen uns mit Freunden, reden über Gott und die Welt und gehen am Ende dann höchst zufrieden nachhause. Ich weiß, Social Media wird bleiben und hat auch seine Berechtigung, aber vielleicht sollten wir den täglichen Konsum wieder etwas nach unten schrauben und uns von der Macht der persönlichen und direkten Worte beflügeln lassen, dann könnte die Welt vielleicht wieder etwas menschlicher werden. Ich persönlich werde mein Social Media Pensum auch reduzieren und beobachten wie es mir dabei geht. Versucht es auch und gebt mir Bescheid, ob ihr das Leben wieder intensiver und erfüllter wahrnehmt. Eure Cleo!

© Heidi Reiter 2025-05-31

Genres
Novels & Stories
Moods
Abenteuerlich, Herausfordernd, Emotional, Komisch, Hoffnungsvoll
Hashtags