Immer noch im Restaurant – vielleicht. E steht auf. S bleibt sitzen.
E: Kunst! Ich werde Geld verdienen mit meiner Kunst. Ich bin Künstler. Ich produziere keine Bilder oder bringe einfach nur Farbe auf irgendwelche Oberflächen auf. Das machen Handwerker. Was ich mache, ist vielleicht kein ordentliches Handwerk. Aber da steckt Alles von mir drin. Ich kann nichts Anderes. Ich bin nicht zum Produzieren geboren. Ich kann nicht tagein, tagaus A und B zusammenschmeißen, damit am Ende immer das gleiche C rauskommt. (Überraschend nüchtern und nicht sarkastisch) Ich kann auch nicht den ganzen Tag auf einem Computer herumklimpern und dabei tolle Konzepte erarbeiten und Projekte managen. Du kannst sowas. Ich nicht. Vielleicht bin ich einfach nicht fürs Geld Verdienen gemacht. Aber ich brauche auch nicht so viel. Wäre ich nicht mit dir zusammen, würde ich die teuren Urlaube, die vielen Restaurantbesuche, unsere schicke Altbauwohnung und unser neues Auto nicht vermissen.
S ist völlig perplex und sieht sich unruhig um. Passiert das gerade wirklich? Hätte sie nicht einfach die Klappe halten können? Sie weiß doch, dass das sein schwacher Punkt ist, auch wenn E das wahrscheinlich nicht zugeben würde.
E: (sieht S an, was er gerade in ihr auslöst. Er setzt sich wieder zu ihr an den Tisch.) Nein, nein, versteh mich bitte nicht falsch! Ich genieße unser Leben und bin dir sehr dankbar, dass du uns das alles ermöglichst. Wirklich! Ich meine nur, dass ich auch mit weniger zufrieden wäre. Und deshalb schäme ich mich auch nicht dafür, dass ich viel weniger verdiene als du. (Sein Blick wird weicher.) Ich habe nur Angst, dass du dich schämst.
Stille. S ist offensichtlich überfordert. In ihr kämpfen Enttäuschung und Verständnis miteinander. Am Ende ist jedoch die letzte Botschaft von E diejenige, die in ihrem Herzen landet. S steht auf, geht um den Tisch herum zu E, nimmt seinen Kopf zwischen ihre beiden Hände und küsst ihn sanft auf den Mund. E schließt die Augen und lässt seinen Kopf nach unten sinken. E genießt die überraschende Liebesbekundung und schämt sich gleichzeitig ein wenig für seine direkten Worte. Nun gibt S ihm noch einen sanften Kuss auf die Stirn und geht schließlich zurück zu ihrem Stuhl. Keiner von beiden weiß, was zu sagen jetzt angebracht wäre. Also essen sie stumm weiter.
© Susann Röthke 2023-08-07