Tabea war glücklich

Martin R

by Martin R

Story

Bei manchen Menschen merkt man sofort, sie sind etwas Besonderes. Mein Professor, er war schon 80 Jahre, aber unterrichtete immer noch und wie konnte der erzählen. Dann war da diese Nachbarin von uns, sie war so chaotisch und kam einfach immer zu spät. Doch niemanden störte es, denn sie brachte immer eine lustige Ausrede mit. Doch niemand war so wie Tabea. Aufgefallen ist sie mir schon am ersten Schultag. Ich weiß nicht mehr was es war, doch sie war so ganz anders als alle anderen. Tabea hasste den Sonnenschein, sie liebte den Regen und jedes Jahr freute sie sich auf den Herbst, der Sommer war ihr viel zu heiß. Es hört sich an, als wäre Tabea ein unglückliches Kind gewesen, doch das Gegenteil war der Fall. Sie lachte viel und war in der Klasse bei allen beliebt. Auch unsere Lehrerin mochte sie, denn eine schlechte Note hatte sie nie und selbst wenn sie ihre Hausarbeit einmal vergaß, niemand konnte ihr böse sein. Die Jahre vergingen und wir alle wurden langsam erwachsen. Tabea war groß und schlank, fast alle Jungen und die, die sich sonst zu Mädchen hingezogen fühlten, waren irgendwann in sie verliebt. Doch nicht nur, weil sie so schön war, sondern, das merkte man nach Sekunden mit ihr, weil sie etwas Besonderes war. Ich weiß nicht, warum und es kann mir bis heute niemand erklären, doch alle die sie kannten, sagten dasselbe wie ich. Wäre die Zukunft anders verlaufen, ich hätte schwören können sie wird Olympiasiegerin, berühmte Sängerin oder Präsidentin von was auch immer. Tabea hatte Talent in allen Dingen, die sie anfasste. Mit 11 bekam sie einen Tennisschläger in die Hand und mit 13 spielte sie bei den Staatsmeisterschaften. Doch Tennis spielte man oft im Sommer und Tabea hasste den Sommer. Sie stürzte sich stets ins Ungewisse und ihr war egal, wie klein die Chancen auf Erfolg standen, sie versuchte es und ja, sie gewann. Tabea wurde keine Sportlerin und auch keine Präsidentin. Sie wollte das auch nie. Sie starb mit 36 Jahren bei einem schief gelaufenem Fallschirmsprung in Südamerika. Ich dachte, ihr Tod war völlig sinnlos, so wie ihr Leben, das aus vergeudeten Chancen bestand. Auf ihrer Beerdigung durfte alle die wollten eine gemeinsame Geschichte mit ihr erzählen und ein gemeinsamer Schulkollege, er kannte sie nicht weniger oder besser als ich, erzählte von einem Tag im September als wir gerade 9 waren und die Schule wieder begonnen hatte. Wir waren am Pausenhof und es war schon typisches Herbstwetter, alle waren traurig, dass die Ferien vorbei waren und plötzlich begann es auch noch zu regnen. „Ich erinnere mich noch genau wie Tabea in einem Anfall voll Freude im Regen zu tanzen und mit dem Ball zu spielen begann. Es ergab keinen Sinn, niemand hatte Lust, ihre ganzen Sachen wurden nass und trotzdem sah sie so glücklich aus bei dem, was sie machte. Es war so ansteckend, dass nach und nach immer mehr Kinder begannen, im Regen zu spielen. Unsere Lehrerin bekam einen Anfall als die ganze Klasse anschließend voller Nässe und Dreck zurückkehrte. Nie wieder in meinem Leben hat jemand meine Stimmung so gedreht wie Tabea an diesem Tag.“ Ich dachte sehr lange über diese Geschichte nach und mir wurde klar, warum Tabea so besonders war. Sie machte sich nie viel aus Erfolgen, jagte nicht irgendwelchen Siegen oder dem Geld hinterher. Sie machte einfach immer das, was sie glücklich machte und das war sie auch bis zur letzten Sekunde.


© Martin R 2023-08-31

Genres
Novels & Stories, Biographies
Moods
Hoffnungsvoll, Inspirierend