Tante Angelika

Kornelia Fussenegger

by Kornelia Fussenegger

Story

Sie ist meine Schwester und unsere einzige Großtante. Als kleine Mädchen schliefen wir in einem Stockbett. Angelika oben, sie war ja die ältere und ich hatte das Bett darunter. Direkt vor dem Bett hing ein Vorhang, von der Zimmerdecke bis zum Fußboden. Der Mädchenbereich unserer Wohnung und es war fast ein eigenes Zimmer.

Eines Tages waren wir bei den Nachbarn eingeladen. Dort gab es immer italienischen Salat. Das ist Majonaise vermischt mit Gurkerln, Extrawurst, Karottenstückchen und Erbsen. Wir beide liebten diesen Salat. Zu Hause bekamen wir das nie zu essen. Und es war genug da! Angelika aß viel zu viel davon. Als wir im Bett waren, erzählte sie mir, dass ihr fürchterlich schlecht sei. Lagen wir im Stockbett, dann flüsterten wir. Wenn wir uns ganz spannende Dinge erzählten, hing Angelika ihren Kopf über das Gitter, sodass ich sie sehen konnte. Wenn man den anderen sieht, dann ist das Spannende leichter auszuhalten. Angelikas Kopf hing übers Geländer und sie flüsterte ganz leise. Damit ich sie verstehen konnte, brachte ich meinen Kopf in ihre Nähe. Als wir so Gesicht an Gesicht – meines unten, ihres drüber – waren, rülpste sie kurz und der gute Wurstsalat platschte mitten in mein Gesicht. Er roch jetzt ein bisschen komisch. Ich erinnere mich genau, dass der Salat im Auge fürchterlich gebrannt hat. Ich hielt mich ganz steif und wusste nicht, was ich jetzt tun sollte. Angelika war auch erstarrt, aber der Wurstsalat musste raus.

Beim zweiten Rülpsen kam ich in Bewegung und zog ganz schnell meinen Kopf zurück. Tante Angelika reierte den restlichen Salat auf den Teppich, und eine nicht unbeträchtlichen Menge, blieb am Vorhang hängen. Eine lange Straße mit Majonaise, Wurst, Gemüse und Essiggurkerln. Ich lag in meinem Bett und grauste mich. Meinen Kopf hielt ich steif. Ich wollte mein Bett nicht schmutzig machen. Aus dem Bett konnte ich auch nicht, direkt vor mir war ja der Vorhang mit Wurstsalat. Angelika hing immer noch völlig fertig über dem Bettrand und war froh, dass ihr nicht mehr so schlecht war. Dann sah sie mein Gesicht. Und sie begann zu kichern. Sie versuchte mir zwischen ihren Lachsalven zu sagen, dass in meinem Augenwinkel eine Erbse klebte, aber dabei musste sie immer mehr lachen. Ich konnte überhaupt nicht lachen, weil, wenn ich den Mund aufgemacht hätte, wäre eventuell ein Stück Italienischer Salat … wäh, daran will ich jetzt nicht denken.

Auf jeden Fall hörte unsere Mutti Angelikas Lachen und kam ins Zimmer. Als sie das Erbrochene roch, zog sie schnell den Vorhang auf die Seite. Das war ein Fehler, denn die Salatstrasse am Vorhang rutschte auf den Teppich. Es war eine arge Sauerei, aber als Mutti mein Gesicht sah, sagte sie noch: Ach, du Arme, und dann lachte sie los. Sie hat mir dann das Gesicht abgewischt und alles wieder sauber gemacht. Sie meinte, dass wir jetzt gelernt hätten, dass man nicht mehr essen soll, als man Hunger hat. Aber ich habe mir vor allem gemerkt, dass ich – wenn die Tante Angelika rülpst – in Deckung gehe.

© Kornelia Fussenegger 2022-01-12