Tempel aus Thailand

Gerda Greschke-Begemann

by Gerda Greschke-Begemann

Story

Drückende Hitze lag über China während der 3-Schluchten-Kreuzfahrt und später bei der chinesischen Mauer. Zu Beas Überraschung wirkte ihr Mann Jürgen ungewohnt erschöpft. Doch er begleitete Sohn Peter zu allen Sehenswürdigkeiten und war freundlicher Mittelpunkt ihrer kleinen Reisegruppe. Fünf Tage später waren sie in Thailand unterwegs. Paul und Bea waren begeistert von den Dschungel-Landschaften, Jürgen nahm sich viel Zeit bei den Besichtigungen der Tempel mit dicken, goldenen Buddhas und aufwändig gestalteten Kunstwerken aus Blumenschmuck. Bei der Fahrt durch das Land entdeckte Jürgen auf fast jedem Grundstück Miniatur-Tempel von prächtig bis winzig, doch immer liebevoll geschmückt. Paul machte ein Spiel mit seinem Vater daraus, möglichst als erster den jeweiligen Haustempel zu finden. „Hat hier denn jede Familie ihren eigenen Tempel?“, wollte Jürgen vom Fahrer wissen. „Die Menschen ehren ihre Ahnen mit diesen Tempeln“, erklärte der Mann. Jürgen machte Bea auf die akribischen Ausstattungen und individuellen Details aufmerksam, die den Eigenschaften der Verstorbenen gewidmet waren. Leicht deuten ließen sich Gaben wie Zigaretten oder Süßigkeiten.

Bunte Märkte in ihren Reiseländern hatte Jürgen immer geliebt, doch diesmal fühlte Bea sich überfordert vom Gedränge, den lauten Verhandlungen mit Händlern und von der schrillen Buntheit überladener Stände, besonders aber von den Gerüchen. Der Gestank von Durian-Früchten mischte sich mit dem von Fleischstücken, aus denen noch Blut tropfte. In den Ablaufrinnen erzeugten dies einen schwer erträglichen Geruch nach Verwesung. Bea wollte schleunigst den Markt verlassen, aber dieses Mal gab Jürgen nicht nach. Aufmerksam studierte er Waren an unübersichtlichen Ständen und schließlich fand er, was er gesucht hatte. Fast triumphierend zeigte er ihr einen aus Holz geschnitzten Tempel. „Der passt niemals in einen Koffer!“, protestierte Bea, doch unbeirrt kaufte Jürgen an weiteren Ständen noch Figuren, Schmuck, einen winzigen Porzellanelefanten und ein Gefäß für Räucherstäbchen dazu. „Ich nehme ihn als Handgepäck mit“, erklärte er. Bea seufzte, schließlich hatten sie bereits einen Holzelefanten erstanden, der ihr tonnenschwer vorkam und ebenfalls nicht in das Fluggepäck passte. Doch Jürgen bestand darauf, den kleinen Tempel zu Hause für die Ahnen aufzustellen. Auf den Flughäfen beim Heimweg zogen sie neugierige oder amüsierte Blicke auf sich mit ihren diversen Plastiktüten, Koffern, Taschen und einem Elefanten, der wie gefesselt aussah mit den herum gewickelten Stricken zum Tragen. Daheim arrangierte Jürgen den Ahnentempel samt Zubehör auf der antiken Anrichte. Bea dachte an den verstorbenen Schwiegervater.

Drei Monate später wussten sie, dass Jürgen unheilbar krank war; nach weiteren zwei Monaten stürzten Bea und Paul in tiefe Trauer. Immer, wenn Bea in den folgenden Jahren wehmütig den Tempel neu schmückte, sprach sie mit Jürgen.

© Gerda Greschke-Begemann 2023-01-21

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