Tiefwurzler in C

Wortstern

by Wortstern

Story

Die Geschichte, die ich euch erzählen möchte, ist so komplex, dass sie in 2.500 Zeichen wohl keinen Platz finden wird. Aber morgen ist ein neuer Tag, morgen sprießen bestimmt neue Geschichten aus meinem Baum des Lebens. Deshalb setze ich mich heute mit euch in den Schatten dieses herrlichen Baumriesen, den ich mir immer als alte, knorrige Buche vorstelle.

Ich liebe Buchen. Das Kleschgrün ihrer winzigen Blättchen lässt nach dem langen Grau-Weiß des Winters in meinem Herzen jedes Jahr euphorisch jubelnde Frühlingsfeste eskalieren. Als Kind nannte ich die offiziellen Fagos Sylvaticas einfach Elefantenbäume, weil ich fand, dass ihre Stämme wie Elefantenbeine aussähen. Ich beschoss sie mit kleinen Holzpfeile, die einem, von meinem Vater für mich geschnitzten, Bogen entflogen. Papa musste mir natürlich versichern, dass die Pfeile den Elefanten bestimmt nicht wehtun würden – aber nein, die kitzeln doch nur. So wurde es also zu meinem täglichen Ziel, Elefanten zum Lachen zu bringen. Dafür bringen sie mir Glück. Nicht, weil wir das so ausgehandelt hätten, sondern, weil es ihnen einfach von Natur aus Freude bereitet.

Ein weiser Mann hat mir kürzlich erzählt, dass meine ewige Seele wie ein Baum wäre. Jeder Ast sei ein neues Leben voll wiederkehrender Blüten, die zärtlich duftend neues Leben geben. Die kleschgrünen Blättchen werden zu sattgrünen Blättern, die den Regen nicht zu krass auf die Erde prasseln lassen und uns, die wir in ihrem Schatten ruhen, Kühle in der Sommerhitze schenken. Im Geflirre des Windes könnten sie in E vibrieren, wie das bedingungslos liebende Herz in einer Chakra-Meditation im Quintenzirkel.Im Jahreskreis werden sie gelb, wie ein Solar Plexus, orange wie ein Sacral und tiefrot wie ein Wurzel-Chakra, zu dem sie schließlich zurückkehren.

Was Wurzeln alles aufführen, um ihren Baumleib am Leben zu erhalten, lässt mich immer wieder mit offenem Mund staunen. Auch die alte Buche am Titelfoto ist so eine Überlebenskünstlerin. Wenn ich im tiefen C meines Wurzel-Chakras meditiere, fühlt es sich so an, als wäre ich in sie hineingeschlüpft, hätte mich mit einer Lebensader-Wurzel in der Tiefe verankert, um Wasser und Nährstoffe aufzusaugen, während die Balance-Beine zu einer liegenden Acht verschlungen, mich mit der Gegenwart der Ewigkeit verschmelzen lassen, damit mein aufrechter Stamm seine Krone in den Himmel strecken kann. Unter uns rauscht das Bächlein nach dem Starkregen oder plätschert sanft bei Trockenheit.

Dieser heilige Hain wird in unserer Gegend „das Marterl“ genannt, nach dem kleinen Altar, der ebenso kunst-, wie liebevoll in einen Felsvorsprung gebastelt wurde. „Aus Dankbarkeit“, wie darüber zu lesen steht, denn hier haben sich zu Kriegsende drei Frauen versteckt. Warum und vor wem soll hier nicht Thema sein.

Das Leben hingegen schon. Die Magie, die in allem existiert, ist ohne Worte besser wahrzunehmen. Dann nämlich tritt die Musik darin hervor – aber das ist eine andere Geschichte…

© Wortstern 2022-08-15

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