Tim, Ritter Siggi und die alte Schaukel…

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by chrissys_stories

Story

Abends, wenn die Gräber bewässert, die Tränen geweint und die nicht gesagten Worte gesagt waren, verließen die Besucher den weltgrößten Friedhof. Dieser war so groß, dass man von seiner Mitte aus nichts weiter sehen konnte als Gräber. Aber das war nicht das Einzigartigste an ihm. Das war der Spielplatz, der sich auf dem Hügel befand. Dort stand eine alte Schaukel für die Kinder. Tagsüber spielten sie hier. Manchmal. 
Heute war so ein Manchmal. Die Lebenden hatten den Friedhof verlassen. Nur ein kleiner Junge war noch da. Er schaukelte schon seit Stunden und lebte die beste Zeit seines Lebens! Niemand hatte ihn vergessen. Er wollte einfach einmal so lange schaukeln, wie er wollte und auf einem normalen Spielplatz ging das eben nicht. Da musste er mit anderen teilen. Hier nicht. Hier kam nur selten jemand her. Es wurde Nacht. Tim sagte sich zum fünften Mal: „Nur noch 5 Minuten.“, und schaukelte weiter. So knarzten die Angeln der Schaukel immer wieder hin und her. Das Rasseln der Ketten stimmte mit ein. Die gruseligen Klänge schallten über den Friedhof. Langsam erwachten die Geister und so hörte auch der Geister-Ritter Siggi das Knarzen. Sofort stolperte er aus seinem Grab und rief sein Ross herbei: „Dante! Auf auf! Zum Spielplatz! Da schaukelt wer!“ Er stieg auf, doch fiel gleich wieder herunter. So stieg er nochmal auf. Aufgeregt stürzten die beiden los. Rasten auf dem kurzen Weg durch Hecken und Grabsteine. Am Spielplatz angekommen, kam das Ross schlitternd zum Stehen. Siggi flog aus dem Sattel. Helm und Reiter landeten scheppernd vor Tims Füßen. Dieser wollte gerade gehen, nachdem er vergessen hatte, die wievielten fünf Minuten er noch dran gehängt hatte. „Oh bitte“, flehte der Ritter. „Schaukel doch weiter.“ Er rappelte sich auf und als Tim den Ritterhelm aufheben wollte, griff er einfach durch ihn hindurch. „Ach Junge, das ist nett, aber ich bin ein Geist. Meinen Helm kannst du nicht greifen.“ Da strahlte Tim. „Ein echter Geist?“ Siggi nickte. „Cool.“
„Was machst du denn hier so spät alleine auf dem Friedhof, Junge?“
„Na, schaukeln. Das sieht man doch. Ich bin Tim und du?“ Siggi lacht herzlich.
„Ich bin Ritter Siggi.“ „Willst du auch schaukeln?“ Der Ritter rief erfreut: „Ich würde so unfassbar gerne schaukeln.“ Wie viele hundert Nächte hatte er schon davon geträumt, endlich wieder einmal zu schaukeln?! „Dann mach doch!“, grinste Tim und hielt Siggi das Schaukelbrett hin. Dieser seufzte. „Wenn das doch nur so einfach wäre. Ich bin ein Geist. Und Geister können Schaukeln nicht bewegen.“ Tim überlegte kurz. „Ich hab’s! Ist doch ganz klar. Komm! Setz dich!“ Er trat zurück und griff das Brett an der Rückseite. Der Ritter seufzte erneut. „Aber mit der Rüstung passe ich nicht zwischen die Ketten“, sagte er traurig. „Dann zieh sie doch aus!“ Gesagt, getan. Kurz darauf lag die ganze Ritterrüstung auf dem Boden. Ross Dante legte sich neben die Schaukel und schaute aufgeregt zu seinem Herrn. Dieser setzte sich in seiner Unterhose aufs Brett und griff nach den Ketten. „Passt.“ „Bereit?“, fragte Tim. Der Ritter nickte. Da stieß Tim die Schaukel an und Siggi flog auf dem Brett nach vorne. Hoch bis zu den Sternen. Der Wind rauschte in seinen Ohren und ein Kribbeln tobte freudig in seinem Bauch! Tim stieß wieder an. Und Geister-Ritter Siggi schaukelte tatsächlich! Was für ein Abenteuer!
Bis plötzlich eine Mutti-Stimme durch die Nacht rief: „Oh Tim. Bist du hier?“

© chrissys_stories 2024-06-23

Genres
Novels & Stories
Moods
Abenteuerlich, Dunkel, Emotional, Komisch, Mysteriös
Hashtags