Titanic: Die Band spielt bis zum Ende

Rodrigo Romero

by Rodrigo Romero

Story
Havanna

Aufgrund des Sturms wird weder Ein- noch Ausreise nach Kuba möglich sein. Der Flughafen ist die nächsten 24 Stunden gesperrt und wir werden die Zeit im Hotel Iberostar Parque Central aussitzen. Ein altehrwürdiger Bau am Hauptnerv der Altstadt. Wir sind begeistert! 
Trotz bedrohlicher Wetterlage entscheiden wir uns aufgrund der Preise für das Abendessen außerhalb zu dinieren und begeben uns in das uns bekannte Etablissement, dass wir an unserem ersten Abend auf der Insel bereits aufgesucht hatten. Es ist zwar touristisch, aber ich mag diese urbane kubanische Essenz, die sich hier in Form der Lautstärke, der lockeren Servicekräfte und der Musik widerspiegelt. Wir beobachten das Geschehen und ich versuche mit allen Sinnen diesen besonderen aufgeladenen Pre-Hurricane-Moment in mich aufzusaugen. Nun sitzen wir also hier, genauso wie vor drei Wochen, nur unter anderen Bedingungen. Es herrscht das gewohnte städtische laute Gewusel in den Gassen. Es könnte auch einfach nur stark windig sein, wenn die Gewissheit fehlen würde, dass dies Vorboten dafür sind, die Bevölkerung leise und sanft zu warnen, die Straßen so langsam zu verlassen. Mit dieser Manifestation, die den Blick und die Sinne auf eine spezielle Art und Weise schärft, bekommt das Setting für mich einen neuen Touch. Es sind besonders außergewöhnliche Farben und Gerüche, welche die Straßen umhüllen. Es schwingt eine abenteuerlustige und aufregende “The Beach”-Stimmung mit. Leonardo DiCaprio hetzt durch die Straßen Bangkoks und nimmt das Leben so, wie es sich ihm anbietet. “Schlage nie eine Einladung aus.” Ebenso elektrisiert das Unvermeidbare, dem man sich fügen muss, dessen Ergebnis Zerstörung und Tod sein könnten: Final Destination. Mit diesem Mix aus Filmassoziationen schlendern wir nach dem Essen zurück in unseren temporären Safespace: Das Iberostar-Flaggschiff.
Mit meinem Notizbuch unter dem Arm laufen wir die imperialen und imposanten Treppen in Richtung Salon. Ein Träumchen eröffnet sich uns: Rauchen ist, wie der Name Zigarrenlounge vermuten lässt, natürlich gestattet. Edle Bücherregale, Holzmöbel, wenig Gäste und eine kleine runde Bar in der Mitte des Raumes bieten das ideale Ambiente, um den Abend zu verbringen und den Hurrikane kommen zu lassen. Wenn wir untergehen sollten, dann zumindest stilvoll. Nachdem ich in einem großzügigen und bequemen Sessel versunken bin und mein Notizbuch auf dem Eichenholztisch platziert habe, kriecht langsam eine Titanic-Untergangsstimmung in mir hoch. Obwohl Kunst- und Architekturgeschichte ganz sicher nicht meine Steckenpferde sind, wirkt die gesamte Umgebung auf mich wie aus der Belle Epoque. Es fehlen nur noch die Streicher, die eisern nicht aufhören zu spielen, während der Kronleuchter herunterbricht, der Rest vom Schiff bzw. Hotel in Panik ausbricht und die Wassermassen einbrechen oder eben das Glasdach des Parque Centrals durch einstürzende Bäume oder sonstigen Schutt. Ich sehe mich in diesem Katastrophenszenario weiterhin der Band lauschen, in meinen Sessel versunken und meinen Mojito genießen. Die Vorstellung ist beunruhigend und zugleich auch ganz in Ordnung für mich. Damit bin ich d´accord. Die Band spielt bis zum bitteren Ende und ich werde trinken, rauchen und schreiben bis der finale Knall ertönt. The End, el fin, der Vorhang fällt. Ich verbeuge mich.

© Rodrigo Romero 2023-08-30

Genres
Suspense & Horror, Travel
Moods
Abenteuerlich, Dunkel, Angespannt, Adventurous, Challenging
Hashtags