Tod eines Hanfungsreisenden

Gossengoethe

by Gossengoethe

Story

Es war wieder Zeit, von Innsbruck heim nach Südtirol zu fahren, um als braver Klischeependlerstudent übergroße Wäsche zu bringen und tupperwareweise Tomatensugo zu holen. Ich wählte die Zugroute über den Brenner, was länger dauert und mehr kostet, aber der Bus via Reschen geht mit drei Umstiegen vonstatten, deren Zeiten mir armem, von drei Prüfungen in zwei Tagen und Zelebrationssuff des Bestehens einer früheren zerstörtem Menschlein zuviel Stress waren.

So stand ich nun gähnend am Bahnsteig und peoplewatchte, wie man im Denglischen sagt. Da fielen mir zwei 15- bis 17-jährige Jungs ins Auge, die dem schlecht getarnten, Eingeweihten offensichtlichen, pfeifenbasierten Cannabiskonsum frönten. Mir eher wurscht, jedem seine Laster, aber der halbe Bahnsteig stank erbärmlich nach dem Kraut und ließ nicht nur mich wiederholt die Nase rümpfen. Zufällig stiegen die beiden in denselben Waggon wie ich ein und blieben mangels verfügbarer Sitzplätze ein paar Meter entfernt ans Fenster gelehnt stehen.

Die Fahrt war zuerst eh unspektakulär, ich las in einem Schundroman und die beiden kicherten hörbar amüsiert über Youtube-Stumpfsinn auf dem Smartphone. Kurz vor Matrei fing der Jüngere auf einmal an brutal zu husten. Jahre vor der Pandemie noch nicht sooo medizinisch bedenklich; er hörte sich an wie ein Minenarbeiter kurz vor der Rente, und selbst ein Liter Wasser aus dem Rucksack konnte sein Gekeuche nur marginal besänftigen, aber es schien ihm sonst eh nichts zu fehlen. Bis zur Haltestelle Gries; dann kippte er auf einmal aus den Socken, blieb auf dem Boden liegen, und hyperventilierte aufs Schlimmste.

Sofort kam eine ältere Dame Mitte 60 nebst Sohn (oder 20 Jahre jüngerem Partner?) zur Rettung gewatschelt und wollte schon heldenhaft Erste Hilfe leisten. Mit arger Anstrengung ob ihrer Körperfülle kniete sie sich neben den jungen Bub. Dieser erschrak bis ins Mark, krabbelte verzweifelt einen Meter rückwärts und stammelte (wörtliches Zitat, nur verständnishalber seinen Oberlandler Dialekt abgeschwächt): „Dude, geh weck, mir knallt grad leicht des guade Weed voll eini, Dude, und dein Face kommt grad arg weird, Dude, sorry!“

Die Frau schaute kurz recht brüskiert, holte tief Luft, und hielt ihm eine Moralpredigt, wie ich sie bisher und seitdem nicht live miterleben durfte. Was ihm denn einfalle so mit ihr zu reden, wie er sich erdreisten könne ihre Zivilcourage so zu missbrauchen, und überhaupt AAAH DROGEN! und was sollen die Eltern denken und ob er nicht an seine ZUKUNFT! denke und dergleichen vieles mehr.

Er saß daneben und wusste nicht, wo oben oder unten war, während sein Kumpel, ihr Begleiter und mit ihnen der halbe Zug inkl. mir uns köstlich unterhielten. Bis Brenner ging es so weiter, dann stiegen alle aus und die Welt war (auch für den Bub) relativ in Ordnung.

Man kann über Kiffer sagen, was man will, aber wenn „dein Face kommt grad arg weird, Dude“ nicht die kreativste Art ist, jemanden als hässlich zu bezeichnen, was dann?

© Gossengoethe 2021-10-14