Todo cerrado…

Pocahontas

by Pocahontas

Story

Frühmorgens, es ist noch finster, der Regen prasselt auf mich herab. Ich mag es, früh am Morgen zu starten. Die Stimmung um diese Tageszeit ist ganz besonders, alles schläft, es ist ruhig. Doch heute bin ich irgendwie nicht so recht motiviert. Die Nacht war kurz, hab schon lange nicht mehr so schlecht geschlafen. Natürlich hält mich das nicht davon ab weiterzumarschieren, immer weiter und weiter Richtung Atlantik.

Die heutige Etappe, Samos – Portomarin, 36 Kilometer liegen vor mir. Der Regen wird allmählich weniger, sogar etwas blau ist am Himmel zu sehen und die Sonne blinzelt durch. Heute werde ich Sarria durchqueren, von hier sind es nur noch etwas mehr als100 km bis Santiago, Unglaublich! In normalen Jahren, ohne Corona, starten hier die meisten Pilger, hauptsächlich Spanier. Ab hier sind die Straßen sozusagen überfüllt. Nicht so in diesem besonderen Jahr. Auch nachdem ich Sarria passiert habe, bin ich so gut wie die einzige auf der Strecke.

Um die Mittagszeit finde ich ein nettes Platzerl bei einer Baumgruppe um Pause zu machen. Schön ist es hier, so gemütlich. Vor allem weil’s grad wieder angefangen hat wie aus Kübeln zu schütten. Hier bin ich geschützt. Ich sitze mit dem Rücken an den Baum gelehnt und schaue einfach dem Regen zu wie er auf die nasse Erde fällt. Es gibt jetzt sonst nichts anderes zu tun. Oder doch? Wenn ich heute noch in Portomarin ankommen möchte, sollte ich dann mal langsam wieder los. Schleppend pack ich meine sieben Sachen zusammen, Rucksack auf den Rücken und los geht’s. Irgendwie komm ich nicht in die Gänge. Ich wünsche mir jemanden an meine Seite, gemeinsam ist vieles leichter. Nur ist weit und breit niemand zu sehen. Ich fange an zu singen, wie schon so oft auf dem Jakobsweg, es motiviert und hebt die Laune. “Heidi, Heidi, deine Welt sind die Berge…., Hey, hey Wicki, hey Wicki hey,….100 kleine Fische, die schwammen im Meer….Ein Hut, ein Stock, ein Damenunterrock…” Die Liedauswahl ist groß und die Palette deckt alle möglichen Genres ab.

“Sobald die nächste Herberge meinen Weg kreuzt, hab ich mein Tagesziel erreicht. Portomarin kann warten” Erleichtert seh ich ein Schild, in einem Kilometer sollte ich die nächste Herberge erreicht haben. Dort angekommen muss ich feststellen, dass sie leider geschlossen ist. Cerrado! Also doch noch weiter. Im nächsten Ort wieder geschlossen, wie nicht anders zu erwarten auch die nächste albergue cerrado. Mir kommen fast die Tränen, was heißt fast?! Ich kann nicht mehr. Durch Corona ist vieles erschwert, aber ich bin schon so weit gekommen. Die10 km bis Portomarin schaff ich heute auch noch.

“Todo cerrado, todo cerrado, estoy muy loca. Todo cerrado….” meine neueste Komposition kommt lauthals über meine Lippen. Ein neues Lied ist geboren. Schnellen Schrittes, meine Wanderstöcke in die Erde rammend, singend, weinend, lachend, nähere ich mich Portomarin.

Ein starker, harter Tag! Was einen nicht umbringt, macht einen nur härter, natürlich mit einem Lied auf den Lippen.

© Pocahontas 2021-03-16

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