by CARPEDIEM
Keine asiatischen Touristenmassen weit und breit – Corona sei gedankt. Also auf nach Hallstatt und zwar ins Originale! Nicht nach China zum Nachklatsch.
Also das originale Hallstatt. Schön ist es ja, das muss man neidlos zugeben. Bummeln durch die engen Gassen, runter zum klaren See und natürlich ins berühmte Beinhaus zu den Totenschädeln.
Totenkopf an Totenkopf. Fein säuberlich in Regalen ausgelegt, gestapelt und geordnet. Die Namen der Toten in penibler Schmuckschrift auf die Stirn gemalt, ebenso das Geburts- und Sterbedatum. Dazu noch Bezeichnendes, Erklärendes. Rosen den Frauen, das Eiserne Kreuz den Soldaten und Ähren den Bauern.
Aus hohlen Augen starren sie von ihren Plätzen in Richtung der Tür, so als würden sie auf den Augenblick warten, wo diese unbewacht offen stehen bleibt und sie hinausfliehen könnten, hinaus in die Sonne, zurück ins Leben.
Ganz Hallstatt überrennen, die einen zum Wirtshaus, an den Stammtisch, wo sie vor mehr als hundert Jahren im Suff weggestorben sind, die anderen hinunter zum See, zu einem Fischerboot, um, wie sie es damals taten, die Netze auszuwerfen. Andere würden den Berg hinaufsteigen, die alten Salzstollen suchen, jenen verdammten Stollen, dessen herabstürzende Decke ihnen die Schädel eingeschlagen hat, oder sie würden wie früher mit rußgeschwärztem Gesicht auf Gamsjagd gehen. Einige würden sich vielleicht den Namen von der Stirn waschen, einen Namen, dessen sie sich noch immer schämten und wieder andere würden Fiedel spielend von Wirtshaus zu Wirtshaus ziehen. Die Frauen würden sich auf die Hausbänke setzen, sie würden nicht kochen, flicken und putzen, denn das hatten sie schon zu Lebzeiten im Überfluss.
Ganz Hallstatt ein Totentanz.
© CARPEDIEM 2021-04-13