by Evelyn Haude
Meine Gedanken verdüstern sich wieder, als ich an die blöden Sprüche von eben denken muss. Heute sollte doch der perfekte Start in das beste Schuljahr überhaupt sein, doch irgendwie läuft alles schief. „Pip“, huch, war das mein Handy? Ich hole es aus meiner Tasche. Tatsächlich, ich habe gerade eine Nachricht bekommen. Offensichtlich habe ich heute Morgen vergessen, mein Handy auf stumm zu stellen, also mache ich das jetzt schnell. Ich sehe überrascht, dass die Nachricht von Emelie stammt. Wieso schreibt sie mir denn? Wir haben zwar mehrere gemeinsame Kurse, haben aber noch nie außerhalb der Schule miteinander zu tun gehabt. Ich öffne die Nachricht und lese sie durch. Ah, das macht mehr Sinn. Emelie will morgen Nachmittag ihren achtzehnten Geburtstag feiern und lädt dazu den ganzen Jahrgang zu ihr nach Hause ein. Kurzfristig finde ich das schon, da ich aber eh noch nichts für morgen geplant hatte, sage ich zu. Ich denke, ich werde ihr vorher noch eine Packung Pralinen kaufen. Dann kriegt sie zumindest von einer Person etwas anderes als Alkohol geschenkt.
„Habt ihr eigentlich mitbekommen, dass Charlie aus der zehnten Klasse jetzt lieber Charlotte genannt werden will?“, höre ich jemanden sagen. Sehen tue ich die Person aber nicht. Wahrscheinlich steht die Person um die Ecke. „Ja, er ist scheinbar Trans oder so“, sagt eine zweite Person in spöttischem Ton. „Was, seit wann will er das denn? Ich fand Charlie ja schon immer komisch, aber das ist doch nicht mehr normal“, ertönt noch eine weite Stimme, die ich sofort erkenne. Das ist Omars Stimme. Was sollen denn diese fiesen Kommentare? Mit: „Ich verstehe einfach nicht, wieso Leute sich dazu entscheiden, queer zu sein. Die wollen doch bloß Aufmerksamkeit!“, setzt Omar noch einen drauf. Jetzt reicht es mir. Ich gehe um die Ecke und sage Omar mit ruhiger Stimme: „Das ist keine Entscheidung.“ „Was sagst du da?“, schnaubt er zurück, also wiederhole ich meine Aussage nochmals: „Ich sagte, das ist keine Entscheidung, also hör bitte auf, solche Kommentare von dir zu geben, wenn du keine Ahnung hast, wovon du eigentlich redest!“ „Ich spreche doch nur meine Meinung aus“, entgegnet er. „Das ist keine Meinung, das ist transphob von dir Omar!“, berichtige ich ihn. Plötzlich schreit er mich an: „Was sagst du da? Beleidigst du mich etwa! Du, du, du, du, du, du, das wirst du bereuen!“, schreit er mich an. Plötzlich fühle ich mich doch nicht mehr so selbstbewusst. Ich will lieber schnell weg. Glücklicherweise kommt Herr Flatter gerade an. „Hey, was ist denn hier los?“, fragt er scharf. „Sara beleidigt mich“, antwortet Omar ihm in einem verstellten und viel lieblicherem Ton als sonst. „Nein, ich habe bloß wahrheitsgemäß gesagt, dass die Kommentare von Omar transphob waren und er bitte damit aufhören soll!“, berichtige ich ihn wieder. „Sehen sie, sie beleidigt mich schon wieder!“, kommt es von Omar. „Das reicht! Ihr geht jetzt beide sofort zum Schulsozialarbeiter und redet über eure kleine Streitigkeit!“, sagt Herr Flatter zu Omar und mir und sieht uns dabei streng an. Na toll und ich dachte schon, dieser Tag könnte gar nicht schlimmer werden. Falsch gedacht, denn ich wurde gerade zum Büro des Schulsozialarbeiters verwiesen! Ich könnte heulen, ich will einfach, dass heute zu Ende ist und morgen ein viel besserer Tag wird! Ich stöhne und mache mich stillschweigend mit Omar auf den Weg.
© Evelyn Haude 2023-09-01