Trio Infernal bereist Wien, Tag 1

Georg Zenz

by Georg Zenz

Story

Keine Angst die Stories aus der weiten Welt sind nicht zu Ende aber zwischendurch etwas Heimatliches. Unsere “Schreibwerkstätte” machte jährlich eine “Ausrückung” (bei uns tut dies die Feuerwehr, die Goldhauben – warum also nicht wir auch?) Piran..Krumau..Wachau..Waldviertel..Wien…

„Wien ist anders“ heißt uns das Plakat willkommen. Zunächst ist es aber WO anders da wir die Abfahrt verpassen und uns zwischen Windrädern, Strommasten und Erdöltanks im Osten der Stadt wiederfinden.

Eine Stadt wie Wien ist vielleicht auch nur deshalb nicht so einfach zu finden, weil sie sich hinter ihrer Geschichte und den dazu gehörenden Geschichten versteckt. Dabei fliegen diese wie Pollen frei durch die Luft – man muss sie nur einfangen.

Sonst ist alles Herbst und Nebel.

Friedhof der Namenlosen. Wenn jemand beim Sterben gar nichts auf dieser Welt zurücklässt, also keine Spuren seines Lebens dalässt, außer einem nackten Grabhügel, ein schlichtes Eisenkreuz mit einem kleinen Abbild des Gekreuzigten, so ist es, als hätte er nie gelebt.

Namenlos. Unbekannt.

An einem Mittwoch ertrunken. Im Jänner ersoffen. Im Sommer ertränkt worden. Vor mehr als einem Jahrhundert untergegangen in der schönen blauen Donau……..

Als Wasserleiche angeschwemmt im Alberner Hafen, dort zur letzten Ruhe gebettet, der Erde übergeben, beerdigt, bestattet, begraben, verscharrt, entsorgt. Namenlos. Unbekannt.

Doch nicht alle Gräber sind Namenlos, aber deshalb nicht weniger berührend in ihrer Geschichte: „Hier ruht Wilhelm Töhn, ertrunken durch fremde Hand am 11.Juni 1904 im 11. Lebensjahr“

Rankender Efeu überzieht die Gräber und will auch den letzten sichtbaren Beweis der ohnehin schon Vergessenen gänzlich zum Verschwinden bringen. Namenlos. Unbekannt. Donau so blau, so blau, so blau…..

Cafe Bräunerhof. Thomas Bernhard grinst mit Mona-Lisa-Lächeln von einem großformatigen Foto aus der Auslage. Was macht aber ein echtes Wiener Cafehaus aus?

Die schwarz gekleideten, mit Mascherl ausgestatteten grantelnden Ober, die von den Stammgästen mit „Herr Franz“ gerufen werden und die allesamt jenseits der Fünfzig sind?

Ein berühmter Literat, der dort immer seine Melange trank? Das bunt gemischte Publikum? Die Vielzahl der aufliegenden Zeitungen? Die verschiedenen Kaffeesorten? Kleiner und Großer Brauner, Einspänner, Fiaker, Mocca, Verlängerter? Nicht zu vergessen die Melange: Halb Espresso, halb Milch. Mit Milchschaum wird sie mir vom Ober serviert.

Tagträumend, in der Cafehaus-Philosophie versunken kippe ich einen Löffel Zucker auf die geschäumte Milch. Zuerst scheint dieser liegen zu bleiben, ja zu schweben, so als ob der Milchschaum ihn tragen könnte, dann, vom Rand aus beginnend, sinkt er langsam ein, erst Kristall für Kristall, immer schneller werdend, bis schließlich alles unter dem sich wieder verschließenden Schaumhügel verschwunden ist.

Jetzt aber weiß ich: Ein Wiener Cafehaus ist ein Wiener Cafehaus. Basta.

© Georg Zenz 2020-05-01

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