Ich weiĂ gar nicht, warum du mir plötzlich am Weg von der Arbeit heim in den Sinn gekommen bist. Die Erinnerungen an dich sind auch nach so vielenJahren prĂ€sent. Ich habe ĂŒberlegt, wann wir uns das letzte Mal gesehen hatten. Ich kann es nicht sagen. Aber heute fĂŒhlt es sich so an, als wĂ€re es gestern gewesen.
Als Kinder haben wir oft die Ferientage zusammen verbracht. Ich war gerne bei dir und deiner Familie, ihr wart zu 7., da war immer was los und ich habe das GroĂfamilien Leben genossen. Du hast es nie verstanden, dass es mich so begeisterte. Vermutlich auch, weil ich es zu idealisiert habe und es in Wahrheit nicht so harmonisch war wie es wirkte.
Du warst lieber dann mit mir allein. Ich erinnere mich an viele Stunden, die wir dann nur zu zweit am Fluss saĂen. An einem Nachmittag hast du zu mir gesagt âich werde nie wie mein Vater, ich werde nie Alkohol trinkenâ. Zu viel Unschönes hast du mit ihm erlebt, DemĂŒtigungen und SchlĂ€ge. Ich glaubte dir, du hattest so viele PlĂ€ne fĂŒr dein Leben, das vor dir lag.
Als wir in die PubertĂ€t kamen, hast du die Rolle als mein BeschĂŒtzer eingenommen. So manches Mal gefiel mir einer deiner Freunde, die ich anhimmelte, wenn wir zusammen unterwegs waren. Wenn die von mir Notiz nahmen, hast du die Schultern gestrafft, dich noch grösser gemacht als du ohnehin schon warst und denen gesagt âFinger wegâ.
Als wir 12 /13 Jahre alt waren, sind wir mal bei mir allein zu Hause gewesen. Du hast mich verschmilzt angegrinst. Mich im nĂ€chsten Moment gefragt, ob ich bei einer Mutprobe mitmache. Neugierig wie ich auch heute noch bin, habe ich natĂŒrlich sofort gefragt, um was es geht. Du hast lachend einen Zeitungsausschnitt aus deiner Hosentasche gezogen und gefragt, ob du unser Festnetztelefon nutzen darfst. Bevor ich hinterfragen konnte, was du vorhast oder gar den Text lesen konnte, hattest du die Nummer schon gewĂ€hlt. Und kurz darauf hörte ich dich mit verstellter Stimme sprechen âna du heiĂe Maus, was geht mit uns Beiden?” Ich fragte mich in dem Moment, wen du da wohl angerufen hattest. Plötzlich wurdest du bleich im Gesicht und hast das Telefonat schnell beendet. Du hast mich erschrocken angesehen mit den folgenden Worten âFrechheit! Die hat zu mir gesagt, ich soll erst wieder anrufen, wenn ich trocken bin hinter den Ohrenâ. Und ich habe noch unschuldig gefragt, bei wem du angerufen hattest. Die Story haben wir in spĂ€teren Jahren oft zum Besten gegeben und du hast auch beim x-ten Mal ĂŒber meine NaivitĂ€t in jungen Jahren gelacht.
Irgendwann entwickelten wir uns in unterschiedliche Richtungen. Manchmal traf man sich zufĂ€llig abends beim Weggehen und ich bin dir meist vor Freude um den Hals gefallen. Du hast mich dann jedoch leider oft gar nicht wahrgenommen. Der Alkohol wurde wie auch bei deinem Vater dein bester Freund. Und dieser hat dich uns leider auch viel zu frĂŒh genommen. Noch bevor du wirklich trocken wurdest hinter den Ohren.
R.I.P. mein geliebter Freund und Cousin M.
Mehr als diese Erinnerungen bleiben mir nicht.
© PetraBrigitte 2020-10-23