Da vorne auf der Bank sitzt meine Mama. Mama ist lebendig. Mama versteckt sich. Ich sehe ihr Gesicht nicht, aber ich weiß, dass es meine Mama ist. Ich und andere, mir unbekannte Personen, beobachten sie. Sie sieht uns, steht auf und rennt plötzlich weg. Ich laufe ihr hinterher. Ich rufe ihr hinterher, sie solle stehen bleiben. Mama rennt aber immer weiter. Und Ich… Ich komme nicht vom Fleck. Ich laufe auf der Stelle. Mama ist weg. Und Ich… Ich bin aufgewacht.
Auch wenn ich wach bin, fühlt es sich trotzdem so an als ob ich träumen würde. Ich hätte nie gedacht, dass ich eines Tages etliche Dinge alleine machen werde. Ohne dich an meiner Seite. Ohne dich, nach Rat fragen zu können. Ich hätte nie gedacht, dass der Tag kommt und du gehst.
Seit Mama gestorben ist, habe ich kein Zuhause mehr. Ich wohne nur noch dort, wo sie mal war. Es fühlt sich anders an. Leerer. Chaotischer. Nach deinem Tod bin ich mir sicher, dass es egal ist, wo man wohnt. Dass es auch egal ist, wie groß oder modern ein Haus ist. Das hast du ja auch immer gesagt. Was du mir allerdings verschwiegen hast, ist, dass das Zuhause zu einem kalten und verlorenen Ort wird, sobald die Liebe fehlt. Deine Liebe hat immer dafür gesorgt, dass ich mich trotz all meinen Problemen wohlgefühlt habe. Ich habe meine Probleme nicht einmal als Probleme wahrgenommen. Du hast mir immer das Gefühl vermittelt, dass alles gut ist. Ich wünschte, ich hätte das Gleiche getan. Ich wünschte, ich hätte dir mehr zeigen können. Mehr Sonnenuntergänge, mehr Musik, mehr von der Welt, mehr vom Leben und vor allem noch viel mehr Liebe. Wie gerne würde ich dir zeigen und erzählen, was du alles nicht miterleben konntest.
Ich bin auf der Bank. Auf der Bank, wo wir saßen, als wir spazieren gingen. Der Platz neben mir ist frei. Du fehlst. Ich bin alleine. Doch dann beginnt der Wind zu wehen. Ich schließe meine Augen und für einen kleinen Moment fühlt es sich fast so an als würdest du mich umarmen. Es fühlt sich fast so an, als wärst du bei mir. Als würdest du mir sagen wollen, dass trotz all dem, alles gut ist. Alles gut wird.
Wir werden nicht auf ewig hier auf der Welt sein. Unsere Zeit ist begrenzt. Deshalb tu mir den Gefallen und lebe. Sende die Nachricht, ruf an, geh raus, triff dich mit Freunden, kletter auf das höchste Dach der Stadt, dreh die Musik im Auto auf, mach die Fenster runter, gib bedingungslose Liebe und tu vor allem das wonach sich dein Herz sehnt. Tu das, wo du dich wenigstens für einen kleinen Moment unsterblich fühlen kannst.
Und du, Mama. Bitte tu du mir den Gefallen und warte auch mich. Ganz egal wo du gerade sein magst, denn irgendwann komme ich dich hohlen. Solange werde ich hier auf dieser Bank sitzen bleiben und darüber nachdenken, was ich dir als Erstes erzählen werde.
Ich bleibe genau dort sitzen, wo ich dich verloren und gefunden haben.
© Temporärfürimmer 2022-07-17