Türme können fallen

Feldwebel

by Feldwebel

Story

Ich wohne in einem Turm aus Kristall, der von einer schmalen Mauer aus Pappe umgeben ist, auf einer Wolke. Das ist mein Wolkenschloss. Hier geistert nur mein Verstand durch das ewige Treppenhaus. Immer auf dem Weg, höher empor zu kommen. Vorbei an Gemälden großer, wichtiger Leute, die aber keiner kennt. Für mich ziehen sie in einem Augenblick vorbei. Sie sind gesichtslos, namenlos. Ich will auch auf so ein Gemälde sein. Ewig werden in einem ewigen Treppenhaus. Dass ich mich dabei verliere, ist okay. Meine Seele ist vor der Eingangstüre stehen geblieben. Was soll’s? Manchmal ruft sie mich, manchmal weint sie nach mir. Ich stell’ mich taub. An den Sirenen sind schon viele Kapitäne untergegangen. Das Ziel ist nicht Ithaka, sondern die Unendlichkeit im Treppenhaus.

Doch ein Stechen plagt mich. Seidenstechen. Ich schreie in eine Tüte, bis ich einschlafe. Mir ist schwindlig. Ich sehe Gespenster, eine Fata Morgana. Alles nur Gehirngespenster? Auf einmal ist Druck auf meiner Brust, und mir wird schwarz. Ich gehe in die Knie. Küsse den Boden. Was war das? Wer war das? Sie war das! Sie lächelt spöttisch. Mir ist kalt. Ich zittere. Sie flüstert mir zu, ich solle aufgeben und den Turm verlassen. Mein ganzer Körper wehrt sich, aber ist kraftlos. Ich bin gefangen im Turm. Nun wird der Turm von Artillerie beschossen. Der Kristall splittert in alle Richtungen. Und ich mitten drinnen. Ich sehe deutlich, wie ich mit dem Turm falle. Da liege ich auf der Wolke, alle vier von mir gestreckt. Aber es ist gut gegangen, mir geht’s ganz gut. Ich glaube, meine Seele freut sich. Das ist wohl ein unverhofftes Wiedersehen für sie und mich, auch wenn ich mich dadurch schlimm verkatert fühle. Plötzlich sausen von unten Enterhaken zur Wolke und bleiben stecken. Die Wolke bebt. Die Mauer fällt um. Es war nur Kulisse. Jetzt bin ich alleine auf der Manege. Die Hacken beginnen, die Wolke herunterzuziehen. Über die Wolke gebeugt sehe ich den Erdboden näher kommen. Meine Finger krallen sich fest. Ich kann mich nicht dagegen wehren. Ich bin machtlos gegen den Abstieg. Meine ganze Arbeit, höher zu kommen, saust an mir vorbei. In Schlieren sehe ich den Boden verschwommen. Er ist noch zu weit weg, auch wenn ich schon gelandet bin. Die Wolke ist nur noch Nebel, um mich herum, indem ich keinen Ausweg sehe.

In meiner Hilflosigkeit alleine greift auf einmal eine Hand nach meinem Arm und zerrt mich ins Sonnenlicht. Als ich die Person sah, begann ich stark zu schwitzen und wurde aufgeregt. Es war Sie, aus dem Turm, die mich zu Fall gebracht hatte. Mit brüchiger Stimme fragte ich Sie, warum Sie das getan hatte? Sie legte den Kopf schief und schenkte mir ein liebevolles Lächeln. Mit ruhiger Stimme beschwichtigte sie, dass Sie ja gar nichts gemacht habe. Mein Blick blieb an ihr haften und glitt nicht mehr in die Höhe. Sie war liebevoll, aber nicht perfekt. Sie sah mich als den, der ich war, und sie liebte mich trotzdem. Diese Frau war in mein Leben gekommen und meine alten Träume waren eine längst vergessene Erinnerung. Es war wohl Glück, sie gefunden zu haben, auch wenn ich manchmal wehmütig mich versuche zu erinnern und mir nur die guten Dinge einfallen wollen. Das Leben mit Ihr war nicht einfacher, doch es erfüllte mich, gab mir Ruhe und einen neuen Lebenssinn.

© Feldwebel 2024-12-28

Genres
Novels & Stories
Moods
Abenteuerlich, Hoffnungsvoll, Reflektierend
Hashtags