by CarinaJordan
Wir wanderten durch die WĂ€lder und ich sprĂŒhte vor Energie und Begeisterung. Schon lange bin ich nicht mehr aus der Stadt herausgekommen. Nun jedoch war ich in den Bergen Vorarlbergs und inhalierte die frische Bergluft, die zwar von einem leichten Odeur nach Kuhexkrementen dominiert wurde, allerdings davon abgesehen vor allem eines bedeutete: Freiheit. Ich war so ĂŒberdreht wie ein kleines Kind, lief voraus, sprang die Felsen empor und blickte mich immer wieder nach meinem Begleiter um.
Dieser war zwar ebenfalls hingerissen von dem wunderschönen Ausblick ĂŒber das Bergland, von den frei grasenden Pferden und dem kĂŒhlen BergbĂ€chlein, aber meinem Enthusiasmus konnte er kaum die Hand reichen. Immer wieder blieb er stehen und holte etwas aus seinem Rucksack. Seine Trinkflasche, seine faltbaren Wanderstöcke. WĂ€hrenddessen hörte ich nicht auf, ĂŒber die Landschaft zu reden und vielleicht bereute er es auch, mich auf diese Wanderung mitgenommen zu haben, aber er lieĂ sich vorerst nichts anmerken.
Erst spĂ€ter wurde dies deutlich, denn er wollte schon lange umkehren, da das Wetter sich lĂ€ngst verschlechtert hatte, aber meine Euphorie war noch nicht abgeschwĂ€cht. Wir waren von Mellau losgegangen und hatten vereinbart zu schauen, wie weit wir kommen. Doch dann hatte ich mir in den Kopf gesetzt, unbedingt ganz hoch bis zur SĂŒnser Spitze zu gelangen. Sein mĂ€nnlicher Stolz lieĂ es nicht zu, mich allein zu lassen und so trottete er noch lange hinter mir her, bis die HĂ€nge immer steiler, der Boden immer feuchter und unebener wurde und die Sichtweite vom Nebel schlieĂlich so eingeschrĂ€nkt war, dass wir kaum noch unsere eigene Hand vor Augen sehen konnten.
Ich schĂ€tzte, dass wir höchstens noch fĂŒnfhundert Meter vom Gipfel entfernt sein konnten, doch als es donnerte, sah ich schlieĂlich ein, dass wir dringend den Weg ins Tal antreten mussten. Wir beeilten uns, es begann zu regnen. Weit und breit war keine Menschenseele zu sehen. Keiner, auĂer uns, war das Risiko eingegangen, bei so ungewissem Wetter bis nach oben zu gehen. Ich spĂŒrte, wie mein Wanderkumpane mich innerlich verfluchte und wĂ€hrend wir den Berg hinabeilten, so schnell uns unsere mĂŒden Beine trugen, erzĂ€hlte ich ihm von der eierlegenden Wollmilchsau.
Er kannte diesen Begriff nicht und so erklĂ€rte ich ihm, wie praktisch ein solches Wesen sei und fuhr dann fort, die Problematik auf den Menschen zu ĂŒbertragen: Die Gesellschaft folgt dem Ideal der Perfektion und wir Menschen lassen uns nur zu gern von den anderen um uns herum beeinflussen. So sind wir unser Leben lang auf der Suche nach dem perfekten GegenĂŒber, einer eierlegenden Wollmilchsau eben, obwohl wir wissen, dass ein solches Wesen nicht existieren kann. Wir debattierten darĂŒber und die Zeit verging, bis wir schlieĂlich aus der Nebelbank heraustraten und das Unwetter hinter uns lag. Auch wenn wir vom Regen komplett durchweicht und bis auf die Knochen abgefroren waren, lĂ€chelten wir uns zu und waren zufrieden.
© CarinaJordan 2021-08-15