Die Vorbereitung für die Südwand konnte weitergehen. Mountainbiken und Laufen. Ich war auch ständig am Studieren der Kletterroute im Kletterführer und im Internet. Einerseits war ich guter Dinge, aber auch wieder aufgeregt, wenn ich an diese riesige Wand dachte. Den Wetterbericht rund um den Dachstein hatte ich ständig im Fokus. Hoffentlich passt das Wetter dieses Mal! Hoffentlich geht alles gut! Hoffentlich………..
Am 21. August war es wirklich so weit. Jetzt mit 65 Jahren würde ich die Dachstein-Südwand, eine der höchsten Wände in den Ostalpen, bis zum Gipfel auf 2995 Meter, am legendären “Steinerweg” erklettern können.
Der Wetterbericht sah sehr gut aus und ob die Vorfreude oder die Nervosität größer war, weiß ich nicht mehr genau. Am Abend davor wollte ich natürlich früh ins Bett, fand aber lange keinen Schlaf. Zwei, drei Stunden werden es wohl nur gewesen sein, aber um 2 Uhr früh musste ich aus den Federn. Um 3 Uhr brach ich von zu Hause auf und traf mich nach zweieinhalb Stunden mit Paul am Parkplatz der Südwand-Seilbahn.
Während des Zugsteigens zur Kletterroute, vorbei an der Südwand-Hütte, das letzte Stück mit Steigeisen über ein hartes Firnfeld, blickten wir etwas besorgt zum Gipfel, der leider noch in dunkle Wolken gehüllt war. Paul sagte mir, wenn am Dachstein schlechtes Wetter kommt, dann meistens aus nördlicher Richtung, du siehst es aber in der Südwand zu spät. Rückzugsmöglichkeiten sind ab einer gewissen Höhe begrenzt. Mit leicht mulmigem Gefühl, aber auf den guten Wetterbericht vertrauend, bereiteten wir uns auf den Einstieg in die Wand vor. Eine Seilschaft, die knapp vor uns da war, ließ uns vor. Sie waren wie ich das erste Mal hier und waren froh uns nur folgen zu müssen. Paul kannte den “Steinerweg” dank seiner vielen Besteigungen sehr gut, darum bestand auch keine Gefahr, dass wir uns in dieser riesigen Wand verirren.
Paul kletterte wie immer vor und drückte von Anfang an aufs Tempo. Das war auch gut, im Kletterführer hatte ich gelesen, dass viele Seilschaften zu langsam klettern und Probleme mit dem Wetter oder der Hitze bekommen.
Schnelligkeit bedeutet Sicherheit hieß es auch.
Wir kletterten die ersten 11 Seillängen zügig nach oben, dann die erste richtig schwierige Schlüsselstelle. Das “Steinerband”, ein zirka 50 Meter langes, schräg aufsteigendes Kriechband, das immer schmäler wird und extrem ausgesetzt ist. Zuerst mehr kriechend als kletternd, muss man nach einigen Metern auf den Bauch bis der Rucksack oben ansteht. Dann ist das Band unterbrochen, man muss mit viel Überwindung hinaus und diese Stelle auf kleinen Tritten und Griffen queren. Unter einem einige 100 Meter Nichts. Stürzen war verboten, denn es waren auch bei dieser Schlüsselstelle nur wenige Haken in der Wand. Aber ans Stürzen dachte ich nicht, kletterte besonders konzentriert und nach einigen aufregenden Minuten stand ich bei Paul am Standplatz.
Paul ließ im schnellen Klettertempo nicht nach. Er wollte möglichst schnell zur schwierigsten Schlüsselstelle kommen. Ein Überhang, aus dem bei einem Wettersturz mit Regen innerhalb kürzester Zeit ein Wasserfall werden konnte. Da kannst du nur mehr den Hubschrauber rufen, meinte Paul, sofern er bei schlechtem Wetter überhaupt starten kann.
© Josef-Paul Ecker 2025-02-17