Wir setzen uns auf eine Parkbank im Doblhoffpark und verzehren genüsslich die mitgebrachten Himbeeren. Es ist gut hier im Schatten. Das riesige Steingesicht Neptuns blickt grimmig. Sein Maul weit aufgerissen, speit er eine Wasserfontäne, die in weitem Bogen in den Brunnen klatscht und Kreise zieht, in alle Ewigkeit. Im Winter wird der Brunnen wahrscheinlich dicht gemacht. Ich komme immer nur im Sommer nach Baden.
Der Lavendel ist geerntet worden. Die meisten Rosen sind schon verblüht. Der Herbst kündigt sich an. H. und ich schlendern den Kiesweg zwischen den Beeten entlang. Während sie Fotos macht von den wenigen Blütenköpfen, die sich noch in ihrer vollen Pracht präsentieren, delektiere ich mich an den Namensschildchen. Gebrüder Grimm, Goldmarie, Madame Curie, Kaiserin Elisabeth. Im Rosarium gibt es 800 verschiedene Rosensorten. Die Namensspender sind eine kuriose Mischkulanz.
Die Gebrüder Grimm liebe ich, nicht nur, weil sie unermüdlich Märchen sammelten, sondern weil sie im Bereich der Sprachwissenschaft Großartiges leisteten und als die Gründungsväter der Germanistik gelten. Die 1. oder germanische Lautverschiebung wird im englischsprachigen Raum als Grimm’s Law bezeichnet. Wer’s wissen will: Der Jacob war’s und nicht der Wilhelm.
Baden ist einen Besuch wert. Die Kulturschaffenden haben sich wieder etwas ausgedacht. Das Foto-Festival La Gacilly findet heuer zum dritten Mal statt. Die Eröffnung war am 14. Juli, dem französischen Staatsfeiertag, und das Festival läuft bis zum 26. Oktober. Zu sehen ist eine Open-Air-Galerie, die sich in zwei Routen durch Baden zieht. Die eine lädt auf einen Spaziergang durch die Innenstadt ein und die andere führt durch das Parkgelände.
Das diesjährige Motto „Im Osten VIEL Neues“ ist eine subtile Anspielung auf Remarques Klassiker „Im Westen nichts Neues“, der als Antikriegsroman in die Literaturgeschichte eingegangen ist. Die Fotos rütteln auf, eröffnen den Betrachtern einen Zugang zu fremden Lebenswelten und hinterlassen sie nachdenklich. Mich jedenfalls. Thematisiert wird die unerbittliche Ausbeutung der Umwelt durch Menschenhand, das Schürfen nach Bodenschätzen, an Land und in den Meeren.
Der Doblhoffteich glitzert in der Spätnachmittagssonne. Auf dem Rasen sehe ich große Kreidekreise, zwischen denen unsichtbare Babyelefanten hocken und die Familien bewachen, die in den markierten Kreisen sitzen und picknicken. Da und dort ist auch ein Freundeskreis.
Eine Musikanlage steht im Schatten der sich zu Boden biegenden Äste. Samba-Klänge vermitteln Brazilian Flair und Lebensfreude. Die Musik verzaubert mich. Ich möchte jetzt tanzen, sage ich zu H., und mein Oberkörper bewegt sich zum Rhythmus der Musik. Ich bleibe auf der Bank sitzen.
Da hüpft „The Girl From Ipanema“ aus einem der Kreidekreise. Die Kleine mag vielleicht fünf Jahre alt sein. Sie kennt keine Scham. Sie tanzt. Ich sehe ihr zu und freue mich.
© Sonja M. Winkler 2020-08-24