② Ute Eppich: Die Schönheit alter Hände

Heinz-Dieter Brandt

by Heinz-Dieter Brandt

Story

Hände verändern sich im Laufe des Lebens, genau wie der übrige Körper. Babyhändchen sind zuerst winzig, zart und zerbrechlich und etwas später wundervoll rund und gepolstert. Sie greifen nicht nach der großen, groben Hand, sondern nach einem einzelnen Finger, um sich daran festzuhalten. Mit der Zeit werden stärkere Kinderhände daraus, die spielen, schreiben und basteln lernen. Jahre später sind die Hände ausgewachsen und zeugen davon, dass sie zupacken können. Sie begrüßen einen anderen per Handschlag und sprechen durch viele Gesten mit dem Gegenüber.

Aber auch sie verändern sich und werden zu alten Händen, die für mich eine besondere Schönheit ausstrahlen. Sie sind nicht schön im herkömmlichen Sinne, nein, sondern schön durch das, was sie erzählen. Sie sprechen von gelebtem Leben, von Arbeit und Mühe, von Krankheit und Schmerzen. Manchmal sind sie von der Gicht deformiert und knotig, und manchmal mager und knochig, meistens treten die blauen Adern hervor, und oft zittern sie.

Diese Hände möchten sich festhalten dürfen, aber auch gehalten und liebkost werden, sie sehnen sich nach der Hilfe jüngerer Hände, nach Abgeben und Loslassen. Sie können nicht mehr so viel arbeiten wie ehemals. Viele kleinere Handbewegungen fallen schwer oder können gar nicht mehr ausgeführt werden, denn die Hände sind ungeschickter und langsamer geworden. Und ihre Gestik lässt nach oder wird nicht mehr eingesetzt.

Als Kind schauderte es mich vor solchen alten Händen. Ich wollte von ihnen nicht berührt werden, es verursachte mir körperliches Unbehagen. Meine Mutter musste mir versprechen, dass sie niemals so hässlich alte Hände bekommen würde.

Und dann wurde meine Mutter alt, bekam genau solche Hände, und ich – ich liebte diese zitternden, faltigen Hände, hielt sie besonders gern in meinen eigenen, damit ihr Zittern für kurze Zeit zur Ruhe käme. Sie hatten nie eine Creme oder Nagellack gesehen, wurden außer mit dem Ehering nie mit kostbaren Ringen geschmückt, aber sie hatten geflickt, genäht und gestrickt, sie hatten Pilze, Beeren und Holz gesammelt, hatten Kartoffeln nachgelesen und das alles kilometerweit nach Hause geschleppt. Und sie hatten sich zum Beten übereinander gelegt. Besonders oft für mich.

Sie rührten mich auf ganz eigene Art an, machten mich traurig und wehmütig, denn sie zeigten nun die Schwäche einer vergehenden Seele. Nichts zeugte mehr von der einst starken Hand, an der ich ins Leben geführt wurde.

Als meine Mutter schließlich im Pflegeheim lag, streichelte ich immer wieder diese lieben Hände, die nichts mehr tun konnten, nur noch still lagen, aber von einem langen, mühevollen und entbehrungsreichen Leben voller Arbeit, von Hunger und von Kindern erzählten. Ich sehe sie noch nach Jahrzehnten genau vor mir. Und ich würde sie so gern noch einmal streicheln und in den meinen halten. Doch jetzt bin ich selbst alt und mit mir auch meine Hände …

© Heinz-Dieter Brandt 2022-03-26