VENI CREATOR SPIRITUS

Wolfgang Mayer König

by Wolfgang Mayer König

Story

Wolfgang Mayer König

Unlängst schlenderte ich mit meinem Sohn ziellos durch den Grinzinger Friedhof. Dabei fielen uns die zahllosen Beanstandungen und Auflassungsdrohungen angeblich baufälliger, jedoch offensichtlich gepflegter und gut erhaltener Gräber auf. Will man so Grabstellen für Neubelegungen frei bekommen, um so mit dem Tod noch schwungvollere Geschäfte zu machen ? So werden bei erdrückenden Höchstwerten der Inflation auch die Preisreduktion bei Strom und Gas nicht voll an die Konsumenten weitergegeben und werden von den Gesellschaften satte Gewinne lukriert. Aus menschlichem Leid lassen sich also vorzüglich Profite schlagen. Niederträchtig und geistlos. Wir trafen auf das Grab Peter Alexanders, seiner Frau und seiner beiden zu früh verstorbenen Kinder, mit dem schlichten Namenszug Familie Neumayer, kein Ehrengrab und ohne einer einzigen Blume. Mein Sohn pflückte von einer verdorrten Hecke einige Hagebuttenzweige und legte sie dort hin. Schräg gegenüber das graue, schlichte Jugendstilgrab von Gustav Mahler. Auch hier keine einzige Blume, nur Steine nach jüdischem Brauch oben auf dem Grabstein von Josef Hoffmann. Wir standen wortlos davor, und sogleich kam mir die Aufführung Mahlers Achter, “der Symphonie der Tausend ” unter Sir Simon Rattle und zahlreichen Jugendorchestern, zusammengefasst im National Youth Orchestra und Jugendchören mit Kindern ab dem Volksschulalter aus allen Landesteilen Englands in den Sinn, die ich im Rahmen der BBC Proms in der Londoner Royal Albert Hall erleben durfte. Es ist und bleibt das unvergesslichste Konzerterlebnis meines Lebens. Im ersten Satz, dem Hymnus” Veni creator spiritus – Komm Schöpfer Geist”, braust einem der Ruf, der eindringliche Schrei, die innig vorgebrachte, dringende Bitte entgegen, der Schöpfer Geist möchte doch kommen, in uns das Licht entzünden, Liebe in die Herzen gießen, dem gebrechlichen Leib Stärke verleihen, weit von uns Feindesgewalt fernhalten und Frieden bringen, damit wir nicht weiter in Elend und Verderben gestürzt werden. Die Stimmflut schwillt- und brandet an, immer gewaltiger, immer kraftvoller. Die Kinder legen beide Handflächen seitlich an den Mund an, um die Stimme noch mehr zu bündeln und kraftvoll nach dem kreativen Geist zu rufen, der unserer Zeit so abhanden gekommen ist und so sehr fehlt.

© Wolfgang Mayer König 2022-12-27

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