Ich packe meine Probleme in eine Kiste und verstecke sie ganz hinten im Dachboden – das ist der Plan. Und funktionierts? Nö – in der Nacht kommen sie zurück und bringen mich um den Schlaf. Ich denke Stunden lang darüber nach, was passiert ist, was ich machen werde. Im Kopf – ein sich unendlich drehendes Karussell, das keinen richtigen Anfang hat und auch kein Ende – bis ich dann doch wieder einschlafe. Ich wache etwas früher auf als geplant, schnell ein Blick aufs Handy – 6:30 Uhr. Was tut sich auf Insta, wie viele Likes habe ich für mein letztes Bild bekommen? 21 – das ist ok, bei 50 Likes bin ich glücklich. Jetzt erst mal Duschen und Kaffee. Ich fühle mich müde – unter der Dusche frage ich mich, wie es nun weitergehen soll. Ich sage mir: meine Probleme sind doch keine Probleme, es sind Herausforderungen und sowieso – Anderen geht es noch viel schlimmer als mir. Also schieben wir schnell alles wieder in die Verdrändungskiste. Mit gezwungenem Lächeln und Augenringen bis zum Boden startet der Arbeitsalltag. Irgendwie schaffe ich das heute, lass dir nichts anmerken, wenn du genug lächelst, dann wird es keiner merken, auch der Chef nicht. Für ihn ist jemand, der zeigt, dass er müde ist faul und grundsätzlich nicht belastbar. Er sagt immer, wir müssen froh sein, dass wir in so einem tollen Betrieb arbeiten dürfen. So schön wie bei uns ist es nirgends. Ich glaube, er hat überhaupt keine Ahnung, wie hart die Arbeit ist, die wir für ihn machen. Ich fühle mich, als würde ich schlafwandeln, aber ich bin wach und ich lächle. Ich habe gelesen, dass man ein echtes Lachen von einem unechten anhand der Augenringmuskulatur erkennen kann. Wenn die aktiviert wird, dann lacht man wirklich. Ich bin dafür aber zu müde. Vielleicht will ich auch einfach, dass ich auf mein falsches Lächeln angesprochen werde. Ich will ausbrechen, die Fassade einreißen, im leisen Großraum-Büro einfach laut losschreien und nicht mehr aufhören. Aber es bleibt leise – ich tippsle weiter auf meiner Tastatur – schaue konzentriert in meinen Bildschirm. Der große Kaffeeautomat ist mein Freund, es werden heute wieder sechs Becher, damit ich den Tag schaffe. Ich freue mich auf die Salamipizza aus der Tiefkühlabteilung vom Billa. Ich fühle mich innerlich genauso kalt wie die Pizza, nur dass über mir kein Plastik verschweißt ist. Ab auf die Couch. Die Pizza und die Couch sind Balsam für meine Seele, einen Moment bin ich glücklich, bis meine Gedanken wieder kommen. Aber ich drücke den roten Ausschaltknopf – der gleichzeitig auch als der Einschaltknopf meines Fernsehers dient. Gleichzeitig checke ich meinen Insta Account und schlafe auf der Couch ein, um mitten in der Nacht wieder aufzuwachen. Müde, zur Arbeit zu gehen – in der Hoffnung, dass mich einmal jemand anspricht und mich fragt: Hey, wie geht’s dir? Und ich sagen kann, nicht gut. Und er sagt, dann lass uns darüber reden. Mit dem Reden und dem Öffnen kommt auch wieder die Menschlichkeit zurück. Das ist das, was ich will: wieder Mensch sein.
© Pablo-Inkasso 2021-09-17