Verlust 2/5 – die ältere Tochter

Alexander Mittermeyer

by Alexander Mittermeyer

Story

Elisa ärgerte sich über Miriams Theater. Die Kleine verlor etwas und schon terrorisierte sie die ganze Familie, um ihr beim Suchen zu helfen. Und es funktionierte!

Vor allem bei Papa. Er war immer auf Miriams Seite.

Nie hatte er Zeit für Elisa. Auch heute tröstete er sie bereits seit mindestens einer Stunde. Dabei brauchte sie ihn, damit er sie die Englischvokabeln abfragte. Schließlich hatte sie morgen Schularbeit. Die erste Englisch-Schularbeit ihres Lebens.

Elisa nahm ihr Englischbuch und warf sich auf ihr Bett. Schnell blätterte sie nach hinten zu den Vokabeln der ersten Lektionen.

Sie merkte sofort, dass sie sich nicht konzentrieren konnte. Ihr Ärger über Miriam und den blöden Stoffhasen war zu dominant in ihrem Kopf.

Ständig hatte Miriam den Hasen bei sich. Sogar beim Essen musste er oft am Tisch sitzen. Wie auch heute beim Frühstück. Dabei war sie schon fünf Jahre alt und würde nächstes Jahr in die Schule gehen.

Elisas Augen wanderten über die Vokabeln.

„Today“. Sofort schoss ihr „heute“ in den Kopf. Sie konnte die Vokabeln. Das wusste sie, aber trotzdem wollte sie für morgen optimal vorbereitet sein. Deshalb musste Papa sie abfragen. Von Englisch auf Deutsch und umgekehrt. Nur so konnte sie sicher sein.

Englisch war ihr wichtig. Sie hatte zwar schon in der letzten Klasse Volksschule Englisch gehabt, aber da haben sie fast nur geredet und gesungen. Nur wenig geschrieben. Ihre Lehrerin war eine Amerikanerin gewesen, die vor allem auf die Aussprache geachtet hatte.

So war sie jetzt in der Klasse eine der Besten. Deswegen musste sie auch eine gute Note bekommen.

Sie schlug das Buch zu und stand auf. Im Bücherregal neben dem Schreibtisch saß ihr Teddy, der schon seit der Volksschule nicht mehr bei ihr im Bett schlafen durfte. Aber manchmal, wenn es niemand sah, nahm sie ihn aus dem Regal und kuschelte ein wenig mit ihm. Sie freute sich jedesmal über den vertrauten Geruch. Teddy war ihr Freund.

Papa hatte seinerzeit oft für Teddy gesprochen. Mit so einer witzigen Stimme. Manchmal hat ihr Teddy am Abend eine Gute Nacht Geschichte erzählt. Elisa hatte das geliebt.

Wie oft hatte sie, nachdem Papa das Zimmer verlassen hatte, noch mit Teddy über die Geschichte gesprochen. Die Geschichte noch einmal erlebt und Teddy über Details befragt, wo er oft nicht viel sagen konnte.

Trotzdem hatte sie ihn aus dem Bett verbannt, als sie begann, zur Schule zu gehen. Es war der richtige Zeitpunkt. Sie war schließlich ein großes Mädchen.

Sie öffnete die Tür und ging zu Papa in die Küche. Papa rieb gerade die Gurke in eine Schüssel.

„Was kochst du eigentlich?“, fragte sie ihn.

Papa sah auf und lächelte sie an.

„Kalte Gurkensuppe und dann einen Zwiebelrostbraten mit Salzkartoffel. Mama liebt das und nach dem heutigen Vortrag möchte ich ihr eine Freude machen.“

„Kannst Du mich nach der Gurke die Vokabeln abfragen? Es ist wichtig wegen der Schularbeit.“

„Klaro. Ich bin gleich fertig.“

Fortsetzung folgt

© Alexander Mittermeyer 2021-09-02

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