Verschnaufpause

Yvonne Vilela

by Yvonne Vilela

Story

Das Leben hatte Marie in letzter Zeit übel mitgespielt.

Sie glaubte nicht an Karma, aber es konnte kein Zufall sein, dass sich die Abwärtsspirale endlos weiter drehte. Alles fing an, als sich ihr Freund an Silvester von ihr trennte. Ohne Vorwarnung, ohne Grund. „Es liegt nicht an dir.“ Seine Worte hallten in Dauerschleife durch ihren Kopf. An wem sonst? Woran eigentlich? Einige Tage zuvor schlenderten sie noch Hand in Hand durchs Leben und machten Zukunftspläne. Es hätte perfekter nicht sein können. Nun starrte sie ein einsames und verheultes Spiegelbild an. Er hatte keine ihrer Nachrichten beantwortet. Anrufe, SMS, sogar zu E-Mails hatte sie sich erniedrigt. Er blieb stumm. Awww! Durchatmen, tief durchatmen. Sie raffte sich auf, um zu ihrer Freundin Anna zu fahren. Gedankenversunken schleppte sie sich zum Auto und parkte aus. Boom! Marie schlug die Hände aufs Lenkrad, bevor sie nachsah, was passiert war. Dämlicher Poller! Was musste der da stehen? Dafür hatte sie jetzt weder Kohle noch Nerven. Seit sie ins Minus gerutscht war, hing sie darin fest wie in Treibsand. „Da kann man doch nur saufen, Anna.” Marie versengte ein Glas Gin auf Ex. „Meine Schulden sind so hoch, dass der beste Finanzberater keinen Zahlungsplan für mich ausarbeiten könnte und bei all dem Mist denke ich ständig nur an diesen Dreckskerl. Er bricht von heute auf morgen den Kontakt ab. Ernsthaft? Ich kapier’s nicht.“ Die Tränen standen wieder in ihren Augen. Ihre Stimme versagte und sie befeuchtete die Kehle mit einem zweiten Schluck. Anna nahm ihre Hand. „Lass uns zum See fahren, Süße und dich auf andere Gedanken bringen.“

Der See schaukelte kommentarlos vor sich hin. Die Freundinnen setzten sich an die Bar und ein Kellner sprach sie freundlich an. Marie starrte aufs Wasser. „Zwei Kakao mit Sahne, bitte.“ Anna übernahm die Bestellung.„Mit Schuss“, ergänzte Marie. Sie nippten beide einige Zeit stumm an ihren Getränken, bis Anna einen Spaziergang um den See vorschlug. Tretboote trieben auf dem glitzernden Blau. Die tiefgrünen Berge erhoben sich ringsherum und schützten sie vor dem echten Leben. Maries Blick haftete am Boden. Sie trat einen Stein weg, der theatralisch ins Wasser plumpste. Als die beiden an der Anlegestelle der Boote vorbeigingen, zog Anna sie zum Steg. Marie ergab sich und setzte sich in eine der Nussschalen. Sie gab sich wenig Mühe damit, zu strampeln, aber dann kanalisierte sie all ihre Wut in ihre Beine und stampfte so schnell sie konnte. Nachdem sie ihre kompletten Kräfte in die Pedalen abgegeben hatten, ließen sie los und streckten die Beine aus. Ihr Boot trieb durch die Sonnenstrahlen. Das Ufer wirkte nun wie ein Miniaturmodell. Um sie herum war es still und Marie schloss die Augen. Sie atmete durch. Bis hierhin konnten ihre Probleme sie nicht verfolgen. Es gab nur sie, das Rascheln der Bäume, das Zwitschern der Vögel und diesen seltsamen Frieden.

Vielleicht gilt das auch fürs Leben: Wenn du loslässt, wird plötzlich alles einfacher.

© Yvonne Vilela 2021-03-18

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