Während Floras Haut eine wohltuende Massage der Natur erhält und ihr dünnes Baumwollkleid immer weiter durchweicht, versucht sie sich zurückzuerinnern, wann ihr bewusst geworden ist, dass ihre Haut ungewöhnlich aussieht. So richtig weiß sie es nicht, aber seit sie ungefähr vier Jahre alt ist, hat sie ein klares Bild von ihrem Muster vor Augen. Ein bewusstes Bild. Vielleicht, weil sie das erste Mal darauf angesprochen wurde?
Ihre Eltern erzählten ihr, dass sie mit ungefähr einem Jahr anfing, einzelne helle Stellen auf der Haut zu bekommen. Erst bildete sich ein Fleck an ihrem rechten Fuß, bald darauf ein weiterer am linken. Seitdem breitete sich das Muster regelmäßig weiter aus – es folgten ihre Hände, ihre Beine, ihre Arme, immer weiter, der Anblick ihrer Haut immer im Wandel.
Wieder einmal fragt sie sich, wie ihr Leben wohl ohne diese Prägung verlaufen wäre. Ohne die ständigen Blicke anderer, ohne die ständigen Fragen. Selbst wenn es keine gemeinen Fragen sind, sind es doch Fragen, die die Aufmerksamkeit immer wieder auf ihr anderes Aussehen lenken. Ob ein Teil ihrer Wut vielleicht daher rührt? Denn auch, wenn das Interesse etwas Schönes sein kann, verspürt sie schon länger aufkeimenden Unmut dabei. Dazu kamen hässliche Kommentare in der Schulzeit, die ihre Unsicherheit fütterten. Die den Wunsch verstärkten, keine so auffällige Haut zu haben.
Bei der Erinnerung fröstelt sie. Das durchweichte Kleid verstärkt das Gefühl der Kälte und sie schlingt ihre Arme eng um die herangezogenen Beine. In solchen Momenten wäre sie gerne einfach ein durchschnittliches Mädchen wie jedes andere auch, mit einer durchschnittlichen Haut, die maximal von einer Nuance, einer Farbe bestimmt wird, egal, ob dunkel oder hell. Hauptsache einheitlich.
Doch im nächsten Moment kann Flora sehen, wie sehr ihre Haut sie auch im Positiven geprägt hat. Die bewusste Auseinandersetzung mit ihrer Andersartigkeit hat ihr zu einer inneren Stärke verholfen, die sie sonst vielleicht nicht erreicht hätte. Tief in sich spürt sie eine immense Dankbarkeit für ihren Körper, der trotz einer Autoimmunerkrankung täglich wie ein Wunderwerk funktioniert. Der es überhaupt erst möglich für sie macht, dieses Leben zu leben. Ihr ist sehr bewusst, dass dies nicht selbstverständlich ist.
So fühlt sich Flora trotz der schwierigen Phasen meist verbunden mit ihrem Körper, auch, wenn das immer wieder auf die Probe gestellt wird. Sie ist froh, dass sie aus dem Alter raus ist, in dem ihr die Beurteilung durch andere allzu wichtig ist. Aber sie wird wohl nie in ein Alter kommen, in dem es ihr völlig egal ist.
Leider.
© Carolin Nägele-Stephan 2024-08-29