Mein Kopf ist zu einem anstrengenden Ort geworden. Corona hat dem Karussell meiner Ăngste und BefĂŒrchtungen einen krĂ€ftigen Schubs gegeben. Es dreht sich schneller als gewohnt. Ăfter im Kreis. Und um banalere Dinge als zuvor. Ich fĂŒhle mich dauernd verantwortlich. Ich lebe mit dem Superlativ meines Verantwortungsbewusstseins in einer Wohngemeinschaft. Die eigentlich nur ein Zimmer ist. Sein Zimmer. Ich bin Gast und rechtfertige mich. Lasse mich tagein, tagaus darĂŒber belehren, welche Fehler ich begehen könnte und was deren Folgen wĂ€ren. Es ist mĂŒhselig. Es ist Mai 2021.
Ich war immer gerne allein. Ich war die mit dem Buch am Ecktisch im CafĂ©. Die, die beim Dinner for one mitleidige Blicke erntete. Die, die sich im Urlaub mindestens einmal abseilte, um allein durch die StraĂen zu streifen. Alleinsein war fĂŒr mich nie eine Herausforderung. Aber immer notwendig. Ich brauchte die Zeit mit mir wie manch andere die Gesellschaft. Doch irgendwo zwischen dem einen und dem nĂ€chsten Lockdown ist mir die FĂ€higkeit zum Alleinsein abhandengekommen. Die Unsicherheit der Situation hat tiefere Spuren hinterlassen, als ich vermutet hatte.
Ich kann mir selbst nicht lĂ€nger zuhören. Weil mir die Antworten auf meine Fragen fehlen. Und weil sie mir Angst machen. Zum ersten Mal zahlt sich mein Netflix Abo wirklich aus. Es tut fĂŒr mich, was es fĂŒr tausende lĂ€ngst leistet. Es schaltet die innere Stimme stumm, indem es mich konstant berieselt. Ich bin abends nur noch selten allein. Irgendwer flimmert immer ĂŒber den Bildschirm. â Rory von den âGilmore Girlsâoder Ross und Rachel von âFriendsâ. Wo ich frĂŒher mir selbst zugehört habe, lausche ich jetzt Fremden in gescripteten Dialogen. Von ihnen lasse ich mich in den Schlaf wiegen. Nur um um vier Uhr morgens wieder hochzuschrecken. âSchaust du noch âGilmore Girlsâ?â, will mein Fernseher wissen. Und fĂŒr den Bruchteil einer Sekunde ziehe ich es in Betracht, auf âJaâ zu klicken. Nur noch eine kleine Pille gegen das Alleinsein zu schlucken. In Form von ein, zwei kurzen Folgen. Die Vernunft gewinnt und ich raffe mich vom Sofa auf. Im Haus ist es unheimlich still. Nur an solchen Tagen gelingt es dem Knacken des Holzes, sich Gehör zu verschaffen. Just als ich mich ins Bett gelegt habe, beginnen meine Gedanken, sich entlang der ĂŒblichen Ăngste vorzuarbeiten. Corona ist omniprĂ€sent. Es folgt der gedankliche Kontrollgang durchs Haus. Ich ertappe mich dabei, wie ich darĂŒber nachdenke, ob das BĂŒgeleisen ausgeschaltet ist. â Jenes BĂŒgeleisen, das ich zum letzten Mal vermutlich irgendwann wĂ€hrend meiner Maturazeit verwendet habe. Wann bin ich so ĂŒberĂ€ngstlich geworden?
Ich schalte das Licht in einem dramatischen Anflug von Sinneskrise wieder an. Und beschlieĂe, dass es Zeit ist, meinem Gedankenkarussell den Stecker zu ziehen, um nicht mehr weiter dem jammernden Diktat meiner Sorgen zu folgen. Es ist etwa fĂŒnf Uhr morgens, als ich beschlieĂe, mein Leben zu Ă€ndern. Es wieder leben, lieben und genieĂen zu lernen.
© Marie-Theres Muxel 2021-11-16