by Yasmin Jöhl
“Die spinnen, die Schweizer”. So oder so ähnlich würde wohl das vernichtende Urteil der uns allen bekannten Comic-Helden Asterix und Obelix aus dem kleinen gallischen Dorf lauten. Aber könnte man es ihnen verübeln? So klein unser Land auch sein mag, so viele Kuriositäten finden hier ihren Ursprung. Kuriositäten, die dank unseres einzigartigen Schweizerdeutschen noch kurioser anmuten.
Und weil ich stolz auf unsere Sprache bin, habe ich mich als Kind göttlich genervt – ich finde zu Recht –, wenn wir wieder einmal unsere deutschen Verwandten besuchten. Warum müssen immer wir uns anpassen? Sollen die doch einmal unsere Sprache lernen. Dass das nicht eben mal so schnell, schnell funktioniert, habe ich irgendwann verstanden. Das Wort schlechthin, wenn ein Ausländer uns nach einem typischen Ausdruck fragt, ist “Chuchichästli” (Küchenkästchen). Es gilt gleichzeitig auch als ultimativer Test: Kannst du es aussprechen, bist du akzeptiert.
Welches Kind muss in der Schule die Tafel putzen? Wer bekommt das letzte Schoggistängeli? Wer steht beim Fussballspielen im Tor? Wer darf im Auto vorne sitzen? Wenn man sich in einer Gruppe nicht entscheiden kann, wer der oder die glückliche oder unglückliche Auserwählte ist, greift man schnell zu einem jahrzehntelangen und bewährten Verfahren – zumindest was uns Schweizer betrifft.
“Aazelle, Bölle schelle, d Chatz gaat uf Walliselle, chunt si wider hei, hät si chrummi Bei” (Abzählen, Zwiebeln schälen, die Katze geht nach Wallisellen, kommt sie wieder heim, hat sie krumme Beine). Woher kommt dieser Abzählreim? Was hat das Rüsten von Zwiebeln mit einer Katze zu tun? Was möchte sie in Wallisellen? Und vor allem: Warum um Gottes willen hat die Katze plötzlich “chrummi Bei” als sie wieder nach Hause kommt? Was ist da bloss in diesem Wallisellen geschehen? Alles halb so wild. Sie hat einfach nur Zwiebeln geschält. Kriegt man neuerdings vom Zwiebeln schälen krumme Beine zusätzlich zu den heulenden Augen? Und überhaupt: Haben Sie schon einmal eine Katze beim Zwiebeln schälen erwischt? Was wirklich dahintersteckt, werden wir wohl nie erfahren. Aber müssen wir das überhaupt? Wenn sich in der Gesellschaft etwas etabliert hat, muss es nicht immer einen Sinn ergeben. Dasselbe gilt für Gesetze, die einfach zu befolgen sind, auch wenn sie sinnlos erscheinen.
So steht etwa die Redewendung “Von der Wiege bis zur Bahre, braucht der Schweizer Formulare” sinnbildlich für die Schweizer Bürokratie, deren “Mühlen langsam mahlen” und die gekennzeichnet ist von Gesetzen und Vorschriften. Manche sind sinnvoll, manche weniger. Sie sind ein passionierter Angler und möchten Ihren Fang mit aller Welt teilen? Dann Vorsicht: In der Schweiz ist es verboten, mit einem frisch gefangenen Fisch ein Selfie zu schiessen. Des Weiteren sollten Sie sich davor hüten, in einem Wohnblock nach 22 Uhr im Stehen zu pinkeln und die Spülung zu betätigen. Und schliesslich darf man seinem Besuch keine Katze auftischen, innerhalb des eigenen Haushaltes ist der Verzehr jedoch problemlos. Apropos: Liegt hier etwa der Sinn “vu de Chatz in Walliselle” begraben? Klar, die Katze ist nach Wallisellen getürmt, weil sie ansonsten auf dem Teller gelandet wäre.
© Yasmin Jöhl 2023-08-31