Ich hab mich für eine Sonnenaufgangs Wanderung angemeldet. Der Name des Berges ist Jirisan. Und vor der Anmeldung wusste ich nicht, dass es sich um den höchsten Berg auf dem Festland handelt. Na hoffentlich schaffe ich das.
Der Bus startet spät Abends in Seoul und meine Mitreisenden sind alle unterschiedlichen Alters und Nationalität. Ich realisiere außerdem, ich besitze weder eine Taschenlampe noch eine Kopflampe. Hoffe mein Handy hält durch. Nachts um 4 erreichen wir unseren Startpunkt. Unser Wanderführer erklärt auf einer großen Karte den Weg. Ich bin langsam richtig nervös, hoffentlich schaffe ich das.
Das Überraschende ist, wir sind nicht die einzigen, die so verrückt sind, nachts auf einen Berg hoch zu wandern. Anscheinend sind wir ganz und gar nicht verrückt, mit uns zusammen pilgern noch hunderte andere ältere Koreaner den Berg hoch. Mit voller Ausrüstung und, wie beim wandern in Korea üblich, farbenfroh angezogen. Ich habe vernünftige Wanderschuhe, ich werde optimistischer, dass ich das schaffe.
Die Anfangsgeschwindigkeit ist etwas hoch. Trotzdem sind wir nicht wie vorhergesagt nach 1,5 h Stunden an einer Brücke. Nach 2,5 Stunden erreichen wir die besagte Brücke. Merke langsam aber sicher, dass mit dem Sonnenaufgang auf dem Gipfel wird eher nichts. Bei Dämmerung erreichen wir einen kleinen Tempel. Die Aussicht auf den Sonnenaufgang ist nicht toll, aber die Atmosphäre fühlt sich gut an. Wir bekommen gesagt, dass der Gipfel noch sehr weit ist. Dabei merke ich die Anstrengung schon sehr, hoffentlich schaffe ich das.
Ich glaube, ich schaffe das nicht. Die Beine schmerzen, der Rücken macht sich bemerkbar und ich bin außer Atem. Da stoppt ein älterer Koreaner neben mir. Er fragt mich, was ich denke, wie alt er ist. Ich bin verwirrt, was die Frage bedeuten soll. Er sagt mir, er ist 77 und wenn er das schafft, dann schaffe ich das auch. Es ist nicht mehr weit und jeden Schritt wert. Er kämpft auch, obwohl es für ihn nicht das erste Mal auf diesem Berg ist.
Ich schaffe das! Der Ausblick ist Wahnsinn. Ich fühle mich, als sehe ich ganz Südkorea unter mir. Wie die anderen mache ich ein Bild mit dem Gipfelstein: 1915m. Die Koreaner um mich herum packen ihr Equipment aus und kochen Ramen. Instant Ramen mit diesem Ausblick schmecken wie ein Gourmet Essen. Dazu koreanische Reisrollen und Reiswein. Sie teilen nicht nur die Erinnerung mit mir, sondern auch ihr Essen.
© Lena Holzemer 2022-05-11