by crisscross
Es ist lange her, doch es gab eine Zeit, da war es im Meer alles andere als friedlich und still. Ein Wirrwarr aus Tönen flutete mit den Wellen durchs Wasser. Jede Fischart hatte ihre eigenen Laute, doch die meisten klangen ähnlich wie Vögel und kleine Säugetiere. Ein buntes Zwitschern und Zirpen, Keckern und Singen erfüllte die Unterwasserwelt.
Evolutionstechnisch gesehen hatte die Verständigung über Töne große Vorteile, denn die Sicht unter Wasser reicht nur wenige Meter weit. Auch über Gerüche kann nur schwer kommuniziert werden, da es verhältnismäßig lange dauert, bis sich die Gerüche im Wasser verteilen. Doch Schall wird in Wasser sogar besser übertragen als an Land und so konnten sich Fische problemlos verständigen. Auch wenn jede Art ihre eigenen Laute hervorbrachte, galt überwiegend, dass große Fische tiefe und kleine Fische hohe Töne hervorbringen konnten. Manche Fischarten hatte ihren Gesang sogar so perfektioniert, dass sie Töne in Luftblasen einschlossen, die sich erst im Wasser ausbreiteten, wenn die Blase platzte. Diese Fähigkeit war äußert praktisch, um Raubfische in die Irre zu führen.
Das musikalische Treiben brachte den Fischen offensichtlich viele Vorteile. Doch gab es auch eine Fischart, der die ständige Geräuschkulisse stark auf die Nerven fiel, nämlich den Haien. Die Evolution hatte die großen Haiarten gemeinerweise mit hohen Fistelstimmen ausgestattet, was den fiepsenden Haien den Spott der Meere einbrachte. Noch schlimmer war, dass ihr Jagderfolg unter der Luftblasentechnik der kleinen Fische litt, da sie ständig an Orten nach Futter suchten, an denen gar keine Fische mehr zu finden waren. Am meisten machte das laute Treiben jedoch den Hammerhaien zu schaffen. Durch ihren verbreiterten Kopf nahmen sie die Schallwellen noch intensiver wahr als die anderen Fischarten und hatten pausenlos Migräne.
„So kann es nicht weiter gehen!“, fiepste eines Tages ein weißer Hai. „Lasst uns ein Bündnis eingehen: Alle Haie der Meere schließen sich zusammen und jagen jedes Tier, dass es wagt in unserem Unterwasserreich Laute von sich zu geben. Wir werden nicht mehr nur aus Hunger jagen, sondern jeden Ton unter Wasser zum Verstummen bringen.“
Und so kam es, dass sich die Haie zusammen taten. Eine fürchterliche Jagd begann. Die Haie jagten erbittert alle Fische, die Laute von sich gaben, doch schon bald hatten die Fische begriffen, wie sie den Haiangriffen entkommen konnten: Sie mussten einfach nur still sein.
Mittlerweile sind die Fische schon so lange stumm, dass ihre Stimmbänder verkümmert sind. Sie können gar keine Töne mehr hervorbringen. Nur die Delfine und die großen Wale konnten die Haie nicht einschüchtern. Das ist der Grund, weshalb ihr Gesang auch heute noch durch die Meere schallt.
© crisscross 2022-08-25