„Du bist eindeutig eine gute Kandidatin für den Physik LK“, sagte mir Herr B. in der sechsten Klasse, als ich anfing, Spaß an Physik zu entwickeln.
An einer Mädchenschule ist es nicht üblich, dass sich eine Schülerin für Physik interessiert. Wenn das doch einmal der Fall ist, legen die Lehrkräfte dem Mädchen alle Steine in den Weg, die sie finden können. Sie ersticken das Interesse im Keim, denn „Physik ist viel zu schwer für ein Mädchen!“ Davon sind sie alle überzeugt – außer Herr B. Herr B. war mein erster Physiklehrer an besagter Mädchenschule – zu meinem Glück. Er pflanzte in mir schon sehr früh den Gedanken, dass ich später mal Physik Leistungskurs wählen könnte, und ließ ihn durch seine stetige, positive Motivation immer weiter wachsen. Denn Physik machte mir Spaß und fiel mir leicht. Wieso sollte ich also nicht etwas wählen, was mir Spaß machte und mir lag? Weil alle anderen mir davon abrieten? Weil alle anderen sagten, es sei viel zu schwer? Tja, manchmal braucht es nur eine einzige Person, um dich vom Gegenteil zu überzeugen. Manchmal braucht es nur eine einzige Person, die an dich glaubt. Manchmal ist diese Person ein Lehrer.
„Du kannst das schaffen! Aber niemals zweistellig…“, sagte mir Herr H. in der elften Klasse, als ich ihm erklärte, dass ich das Schuljahr wiederholen und einen anderen LK wählen wolle.
Für den Physik LK musste ich auf eine andere Schule. Dort wurde meiner Liebe zur Physik ein Dämpfer verpasst. Der Unterricht war völlig anders als auf meiner alten Schule. Zusätzlich saßen auch noch Jungs dabei. Meine Noten wurden so schlecht, dass ich aufgeben wollte. Die Gesellschaft hatte recht behalten: Physik ist nichts für Mädchen oder zumindest nichts für mich. Auch hier war es wieder ein Lehrer, der mich vom Gegenteil überzeugte. Herr H. sagte mir ins Gesicht, dass ich nicht gut genug war. Nicht gut genug für eine zweistellige Note im Zeugnis. Das motivierte mich mehr, als es jedes gute Zureden geschafft hätte. Ich wollte Herr H. beweisen, dass er Unrecht hatte. Ich wollte Herr H. zeigen, dass ich mich mit einer einstelligen Note nicht zufrieden gab. Also lernte ich mehr als jemals zuvor. Ich wuchs über mich hinaus und lieferte ihm eine 13 Punkte Prüfung, die ich ohne seine negative Motivation niemals geschafft hätte.
Zwei Situationen. Zwei Sätze. Zwei Menschen, die mein weiteres Leben maßgeblich beeinflusst haben. Der erste weckte in mir das Interesse an der Physik und das Vertrauen in mich, dass ich das schaffen kann. Der zweite heizte meinen Ehrgeiz an und ließ mich alles aus mir herausholen, um ihm zu zeigen, dass ich besser bin.
Jetzt stehe ich hier. An der Uni. Der Bachelor ist zum Greifen nah. Ich studiere Physik. Das alles verdanke ich diesen zwei Menschen, meinen Lehrern, die mich auf ihre Art motiviert, geformt und aufgebaut haben. Diese zwei haben an mich geglaubt, als ich selber nicht dazu in der Lage war, und mich dazu gezwungen, über mich hinaus zuwachsen. Ich glaube, ich habe mich nie angemessen dafür bedankt.
© Katrin Katzenmeier 2022-08-04