„Wahnsinn, wie du Dinge weglächeln kannst – das ist echt bewundernswert“ machte mir meine Freundin an einem lauen Sommerabend ein ernst gemeintes Kompliment. Hatte doch eine Bekannte eine ziemlich dreiste Kritik an meinem Umgang mit meinem Hund in ein Kompliment an sie verpackt. „Wahnsinn wie Schoko strahlt nachdem er eine Woche bei dir war.“ Oder so ähnlich waren ihre Worte. Aufgrund der charakterlichen Konstitution meiner Bekannten durchaus als Seitenhieb an mich zu verstehen. Meine Freundin wäre ihr nach eigenen Aussagen „an die Gurgel gesprungen“. Zunächst freute ich mich ĂĽber das Kompliment. Die Wahrheit ist jedoch eine andere: ich habe die Beleidigung nicht mal registriert. Habe sie weggelächelt, weil ich sie IN DIESEM MOMENT nicht mal gespĂĽrt habe.
Eine “Gabe”, die mich schon mein Leben lang begleitet und beinahe meine langjährige Beziehung mit meinem Mann im Keim erstickt hätte. Der im Chat geschriebene Satz „Wahnsinn, da behandeln dich Menschen schlecht und du suchst noch den Fehler bei dir“, ergänzt durch den wohl sarkastisch gemeinten Nachsatz: „Klingt als wärst du die perfekte Partnerin“ bewegte mich in unserer Kennenlernphase dazu, den Kontakt abzubrechen. Schön, dass er hartnäckig war. Ich war nicht bereit fĂĽr den vorgehaltenen Spiegel.
Als ich mich entschloss, mich mit unserem Familienpferd auseinander zu setzen änderte sich etwas schlagartig. „Ah, jetzt weiss ich was Shaki dir beibringen will.“ meinte meine wunderbare Reitlehrerin. Hä? Unser Pferd mir? „Sie zeigt dir, dass du auch mal wĂĽtend sein darfst. Lass dich nicht von ihr veräppeln. Wut hat ihre Berechtigung. Aber nur im konkreten Moment. Dann wieder raus aus der Wut.“ Zugegeben, nichts Neues fĂĽr mich. Nach jahrelanger Psychotherapie wusste mein Kopf das eh schon. Na dann los. Wenig ĂĽberraschend ging es nicht. Es war mir ja eigentlich wirklich egal ob wir jetzt stehen bleiben oder gehen. In der nächsten Reitstunde funktionierte es – braves Unterbewusstsein. Und ich spĂĽrte erstmals, was das fĂĽr ein starkes, befreiendes GefĂĽhl ist zu wissen was man will – und es durchzusetzen. Nicht weil es „geil“ ist einem Tier meinen Willen aufzuzwingen, sondern weil es mich wahrnahm. Mit dem was mir wichtig ist. Und mich respektierte dafĂĽr, dass ich das auch durchsetze. Obwohl es im Viereck rein objektiv völlig egal gewesen wäre ob wir gehen oder stehen bleiben. Endlich spĂĽrte ich die so oft gehörte und auch verstandene Botschaft meiner Psychotherapeutin.
ZurĂĽck in der lauen Sommernacht: WĂĽrde ich jetzt meiner Bekannten Kontra geben? Nein. Ich wĂĽrde die Beleidigung weglächeln. Was anders wäre? Nach auĂźen nichts. Nach innen alles. Ich hätte die Beleidigung IM MOMENT gespĂĽrt. Und bewertet – nämlich dass es meiner Aufregung und Energie nicht wert ist. Sie hat selbst genug eigene Probleme mit denen sie zurecht kommen muss. Soll sie bei mir ein bisschen sticheln, wenn es ihrer Psychohygiene dient. Frei nach dem Motto: “Wenn ich du wäre, wäre ich lieber ich.”
© Seelenschreiberling 2020-03-04