“Weihnachten steht vor der Tür!”, sagen im November die Leute in Österreich, schneiden im Wald Tannenbäume ab, stellen sie auf Plätze, in Häuser und Einkaufszentren und schmücken sie mit bunten Kugeln, Engeln und Lichterketten. Sie rennen in die Geschäfte und kaufen massenweise Geschenke ein. Denn zu Weihnachten wird nicht nur die Geburt von Jesus Christus gefeiert. Es ist auch das Fest der Familie und der Liebe, sagen sie.
Ich schau mir das Ganze mit großen Augen an, denn es gefällt mir, wenn es überall glitzert und leuchtet. Und Geschenke mag ich auch gerne. Aber es hat für mich als syrische Muslima keine Bedeutung. Für mich sind nur das Ramadanfest und das Opferfest wichtig. Ramadan ist der neunte Monat im islamischen Kalender und ist gleichzeitig unser Fastenmonat.
Das bedeutet, dass wir auf das Essen und Trinken vom Sonnenaufgang bis zum Sonnenuntergang verzichten.Das kann ziemlich lang sein, nämlich bis zu 16 Stunden. Das ist manchmal sehr anstrengend, vor allem, wenn es extrem heiß ist. Die Belohnung für all die Anstrengungen ist ein dreitägiges Fest, das man auf Arabisch Eid-Al-Fitr und auf Türkisch Bayram nennt. Auf Deutsch sagt man Zuckerfest dazu, weil man nach der langen Fastenzeit besonders viele Süßigkeiten isst. Auch meine Mutter bäckt in diese Zeit süßes Gebäck, das wir alle lieben. Ich helfe ihr immer dabei und es macht auch sehr viel Spaß.
Das Fasten im Ramadan gehört zu den fünf Säulen des Islams. Vor allem in dieser Zeit sollen die Menschen nichts Böses oder Falsches denken und tun. Man soll nett zu den anderen Menschen sein und nicht streiten, noch mehr beten als sonst und im Koran – das ist das heilige Buch des Islams – lesen.
Mein größter Wunsch wäre es, dass, wenn der Krieg in Syrien zu Ende ist, ich in meiner alten Heimatstadt Daraa, Eid-Al-Fitr feiern könnte. Sowie ich es als ein kleines Mädchen gemacht habe – mit Oma und Opa, mit allen meinen Onkeln und Tanten, Cousins und Cousinen. Nach dem Besuch der Moschee würde sich die Großfamilie zu einem köstlichen Frühstück versammeln. Dann würden wir zur Malahi gehen. Das könnte man mit der Dult oder dem Rupertikirtag in Salzburg vergleichen. Dort würde ich das ganze Geld ausgeben, das ich von meinen Verwandten geschenkt bekommen habe. Ich glaube, nirgendwo schmeckt die Zuckerwatte besser als in Daraa.
Das würde auch meinem jüngsten Bruder Mohammad, der dieses Fest noch nie richtig erlebt hat, sehr gut gefallen. Er kam vor fast sechs Jahren in Salzburg auf die Welt. Sein Geburtstag ist am 26. Dezember. Deshalb hat der zweite Weihnachtstag doch eine Bedeutung für meine Familie.
© Halimah Alsharif 2021-09-16