Wenn das Höllental dich ruft

Beederl

by Beederl

Story
Waldviertel 2024

Du schaust dich und dein Leben an – im Augenblick gerade wieder etwas intensiver – und befindest dich in einem Um- und Zustand, den du deinem ärgsten Feind nicht wünschen würdest. Sämtliche Höllenhunde lauern unter dir mit zähnefletschendem Schlund, darauf wartend, dass du dich nicht mehr halten kannst und ihnen in den Rachen fällst. Egal, welches Thema du anschaust, welche Befindlichkeit dir in den Sinn kommt, ob körperlich, zwischenmenschlich, seelisch, nirgendwo vermag dich ein Halt aus dieser Misere zu ziehen. Täglich noch ist es möglich, noch ein Treppchen tiefer gestoßen zu werden. Es ist unglaublich, dass so etwas möglich ist.

Und ich bin wahrlich keine Mimose, habe vieles mit Bravour gemeistert, im Laufe der Lebensjahre. Ich frage mich, welches Ungetüm ich bin, dass ich so etwas verdient habe. Sämtliche Familie und Freunde sind mit den Jahren weggebrochen. Ich bemühe mein Gewissen und meist fallen mir von meiner Seite her nur Kleinigkeiten ein, die dazu beigetragen hätten. Oft aber fühlte ich mich unverstanden und übervorteilt. Gestern teilte mir meine letzte Freundin mit, dass sie sich (wieder einmal) unsterblich verliebt hätte und für mich keine Zeit mehr hat. Heute fährt mir meine Tochter dermaßen “drüber”, dass ich überlegt habe, aufzustehen und zu gehen. Ich habe mit meiner Enkeltochter (10) gemauschelt, sie mag die Schwatzerei mit mir, aber meine Tochter musste sich einmischen und mir den Mund verbieten. Beide waren wir augenblicklich für einige Zeit verstummt.

Gestern rief mich ein vermeintlicher männlicher “Kandidat” an, ich schrieb lang und liebreizend zurück. Als Antwort kam ein Satz und wenig Inhalt, sodass ich nicht anders kann und ihn gelöscht habe. Geduld, da auf ein Wunder zu warten, habe ich keine mehr. Alle meine Bemühungen, einen Freund (auch Partner) oder eine Freundin zu finden, waren nicht von Erfolg gekrönt.

Ich beherberge in meiner Einliegerwohnung seit einem Jahr einen gleichaltrigen Senior. Er gab mir anfangs zu verstehen, dass er nur auf junge, schlanke Frauen stehe. Für mich passte das gut, dennoch hoffte ich auf eine lose Freundschaft – so Tür an Tür. Doch bald hat er sich auf einen harmlosen Ausspruch von mir derart daneben benommen, sich dafür auch nicht entschuldigt, sodass ich heute noch beleidigt bin. Wir sind zwar zur Tagesordnung übergegangen, doch freundschaftliche Ambitionen sind da keine mehr da.

Tröstlich denke ich an meine (vor 30 Jahren verstorbene) Großmutter zurück (mit der ich auch nicht immer grün war). Als Kind bin ich gerne mit ihr in die Maiandacht abends in die Kirche gegangen. Der üppige Weihrauchduft und die Lieder klingen heute noch tröstlich zu mir herüber. Selbst der wenige Glaube ist mir mit den Jahren abhanden gekommen, doch das “Oh, Maria hilf!”, die eingängigen Melodien, der zittrige Gesang meiner Oma, das Spüren ihres Körpers nah bei mir, spenden mir heute noch Trost, ohne es begründen zu können. Es muss eine warme Atmosphäre gewesen sein. Selbst meine Tränen sind derzeit versiegt, können mich nicht mehr reinwaschen von dem Leid und dem Zweifel, die ich gerade verspüre. Ich bin unendlich einsam und allein und frage mich schon lange nicht mehr “warum gerade ich?”.

© Beederl 2024-04-26

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Biographies
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Emotional, Traurig
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