Wenn die Soca sprechen könnte

Maria Oberhammer

by Maria Oberhammer

Story
Slowenien 2022


…wovon würde sie erzählen? Von den Soldaten in den Schützengräben, die sich vor mehr als 100 Jahren im Ersten Weltkrieg an ihren Ufern bekämpften? Von den fröhlichen Kindern, die Kieselsteine in ihre türkisblauen Fluten hineinwerfen? Oder von den bunten Kajaks, die behände über ihre Stromschnellen springen?

Hans und ich sind wieder mit unserem Bus unterwegs! Um ein paar Tage noch den sonnigen Spätherbst zu genießen, sind wir nach Slowenien aufgebrochen. Das Land kennen wir bisher nur von der Durchfahrt. Der Triglav-Nationalpark soll ein richtiges Naturjuwel sein. Mit seinen 2864 Metern ist der Triglav der höchste Gipfel Sloweniens inmitten der Julischen Alpen. Von Kranjska Gora fahren wir in Richtung Bovec. Wir wollen unbedingt ins Soča -Tal. Die Soča entspringt im Nationalpark als Karstquelle und mündet nach 136 km in den Golf von Triest. Ein Fußweg führt uns zur Quelle der Soča. Faszinierend, wie sich aus einer unscheinbaren Quelle plötzlich wilde Wassermassen über die Felsen ergießen und zu einem reißenden Fluss werden, der eindrucksvolle Schluchten formt. In Italien wird aus der Soča der Isonzo.

Als ich meinem Vater am Telefon vom Triglav-Nationalpark und dem Isonzo erzähle, erinnert er sich, dass sein Vater in der Jugend einmal den Triglav bestiegen hatte. Als blutjunger Soldat musste mein Opa in der österreichisch-ungarischen Armee an der Isonzo-Front kämpfen – im Soča-Tal. Viele kamen um, mein Opa überlebte. Welch traumatische Erfahrungen er damals machte, weiß ich nicht. Auf jeden Fall holte er sich in den feuchten, nasskalten Schützengräben lebenslanges Rheuma.

Ich war erst 10 Jahre alt, als mein Opa starb. In meiner Erinnerung ist er ein warmherziger, stiller Mann gewesen. Etwas gebeugt, mit schmächtiger Figur und einem Gehstock. Eine ausgeprägte Liebe zur Natur zeichnete ihn aus. Nach dem Krieg wurde er Biologielehrer. Jeden Vogel erkannte er an seinem Gesang, von jeder Pflanze wusste er den Namen. Kann es sein, dass die Schönheit der Julischen Alpen und der smaragdgrünen Soča damals, während der brutalen Schlachten, eine große Kraftquelle für ihn war?

Den Sonnenaufgang auf einem kleinen Gipfel erleben und das Panorama der Julischen Alpen mit dem imposanten Triglav bewundern – das möchten wir unbedingt! Also brechen wir im Schein unserer Stirnlampen um 5:30 Uhr von der Soriška planina auf. Es sind nur 300 Höhenmeter bis auf den Gipfel des 1602 m hohen Možic. Ganz allein sind wir dort oben, als die Sonne langsam über den Horizont steigt und die Bergwelt in goldenes Licht taucht. Am Gipfel des Možic ragt die eiserne Kuppel eines alten Militärbunkers heraus. Auch Grenzsteine und Kasernen in der Umgebung erinnern noch an jene Zeit nach dem Ersten Weltkrieg. Stumme Zeugen in einer farbenprächtigen Natur voller Vogelgezwitscher und Idylle! (Herbst 2022)



© Maria Oberhammer 2024-02-21

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