Sofort beim Betreten bemerkte ich die hektische Stimmung, die im physikalischen Institut der Orthopädie herrschte. Die Therapeutin kam ganz abgekämpft nach vorne, um mich zum Papimi–Gerät zu geleiten. Dabei handelt es sich um eine spezielle Form der Magnetfeldtherapie, bei welcher mittels einer schwenkbaren Kupferarm–Spirale starke 30.000 Volt direkt an der erkrankten Stelle des Körpers freigesetzt werden. Egal in welchem Bereich, Papimi ist sehr breitgefächert anwendbar und soll helfen erkrankte Zellen zu erneuern. Etwas laut ist es zwar und die Impulse spürt man recht heftig, doch es ist nicht schmerzhaft. Manche Patienten berichten sogar nach nur einer Behandlung bereits von deutlicher Schmerzreduktion.
So hatte ich es beim ersten Behandlungszyklus auch erlebt, ich konnte damals sofort die Treppe wieder ohne Schmerzen hinabgehen, doch diesmal lässt die Erleichterung leider etwas auf sich warten.
Ich fragte die Therapeutin beim Bezahlen, ob heute allgemein irgendeine unruhige Energie in der Luft liege, weil es mir so vorkam und sie meinte: “Na ja, es ist heute richtig viel Action. Schönes Wochenende, bis Montag dann!”
Nach einigen Erledigungen, entschloss ich mich dazu, einen Abstecher in eine meiner liebsten, alten Kirchen zu machen. So ein kleines Stoßgebet zur Unterstützung wäre vielleicht grade das Richtige, war mein Gedanke. Schon im Vorraum bemerkte ich zarte, musikalische Nuancen, die nur von der Orgel stammen konnten. Ich öffnete das alte Tor zum Kirchenraum, huschte leise zu den Lichtlein, um zwei zu entzünden und wurde sofort von einer wogenden Welle der Klänge erfasst, welche mich vollkommen in den Bann zog. Ich musste kurz innehalten, bevor ich über den roten Teppich langsam nach vorne schritt. Mir fiel sofort auf, dass die antike, wertvolle Pieta im Seitenaltar hell erleuchtet war. Wundervoll, so hatte ich die Figur noch nie zuvor gesehen.
Kaum am Altar angekommen schloss ich meine erschöpften Augen und versuchte mich ins Gebet zu vertiefen, doch es geschah etwas ziemlich Ergreifendes. Ich fühlte die intensiven Klänge der Orgelmusik förmlich in jeder Zelle meines Körpers vibrieren und wahre Farbexplosionen taten sich vor meinem inneren Auge auf. Stärker, als ich diese jemals während Meditationen oder Energiebehandlungen empfangen hatte. Dies war so ein Moment, in dem die Welt für einen Augenblick den Atem anzuhalten scheint und die Zeit stillsteht.
Tränen kullerten meine Wangen entlang, während mein Herz bebte und alles Aufgestaute sich in Sekundenschnelle explosionsartig aus mir herauslöste.
Wer mag wohl so intensive, magische Klänge hervorzaubern, sinnierte ich?
Ich hielt noch kurz inne, bevor ich mich dann auf den Weg nach draußen machte. Kaum angekommen, erblickte ich eine Frau mit Tochter aus der Seitentüre treten, welche sofort ins Gespräch mit einer Friedhofsbesucherin kamen. Ich vernahm, dass es das junge Mädchen war, das an der Orgel saß. Einfach zauberhaft!
© RENAvonRAVENSTEIN 2021-03-27