Wer bezahlt meine Beerdigung?

Beate-Luise

by Beate-Luise

Story

Vor dem Haus von Familie N. rechts die Straße weiter leuchtet ein Meer aus zartvioletten Krokussen. Letzten Freitag traf ich den Sohn der N.s, nennen wir ihn B. Er ist von einfachem Gemüt, ich schätze ihn auf Anfang, Mitte 50. Er wohnt am linken Ende der Straße und schaut manchmal, ob in seinem Elternhaus alles in Ordnung ist. Seine Mutter ist seit zwei Jahren wegen ihrer Demenz im Heim. Sein Vater, ein ganz Korrekter, erzählte mir mal stolz, dass er in seinem ganzen Arbeitsleben keinen einzigen Tag gefehlt habe. Er verstarb kurz nach Erreichen seines Pensionsalters. Das Krokushaus steht leer.

Freitag also, als ich in mein Auto steigen wollte, kam B. die Straße entlang und ich sagte Hallo. Er verlangsamte seinen Schritt und schimpfte über das Wetter. Ich lobte die schönen Krokusse, die vor seinem Elternhaus bereits blühen. Da platzte es aus ihm heraus: „Meine Schwester will das Haus meiner Mutter verkaufen. Ich hab da drin doch meine ganze Kindheit verbracht… Dann komm ich nie mehr her, an dieses Ende der Straße. Ich will nicht sehen, wie fremde Leute in meinem Zuhause wohnen!“

Das verstand ich. Vor einem Jahr kam auch meine demente Mutter in ein Heim. Ihre Wohnung wurde leergeräumt, ein paar wenige Möbel nahm sie mit. In ihrer Wohnung hatte sie 50 Jahre gelebt. Wir waren dort hingezogen, als ich fünf war. Insofern war diese Wohnung auch in meinem Leben eine feste Größe. Auch ich habe nicht vor, dort nochmals hinzugehen.

Unzählige Erinnerungen hängen an der Kleinstadt, der Straße, dem Mietshaus aus Rotklinker und der Wohnung. Ich kenne darin blind jede Ecke. Im Treppenhaus ist eine Stufe locker und macht ein leises Geräusch, wenn man darauf tritt. Erinnerungen an die letzten Jahre, die meine Mutter dort in ihrer Demenz allein lebte. An die ständige Sorge um sie, unsere Konflikte und auch an unsere letzten glücklichen Stunden dort.

Nun lebt sie in einer Senioreneinrichtung ganz in meiner Nähe. Ich muss mir keine Sorgen mehr machen, mich um nichts mehr kümmern und kann die Stunden mit ihr ungetrübt genießen. Wenn sie gut aufgelegt ist. Neulich schoss sie wieder einmal den Vogel ab: Ich schälte ihr gerade einen Apfel und überredete sie, noch Stück zu nehmen. Sie wehrte ab, denn sie sei satt. Aber ich solle essen, ich sei ja auch viel zu dünn. „Nein“, sagte ich. „Seit ich nicht mehr rauche, bin ich gar nicht mehr so dünn. Ist dir das noch gar nicht aufgefallen? Ich hab schon ein paar Kilo zugelegt.“ Nachdenklich sah sie mich an. „Na, dann rauch doch lieber weiter.“ Ich war fassungslos, aber musste trotzdem lachen. Sie war immer eine vehemente Rauchhasserin gewesen. Ich erwiderte: „Aber dann würde ich vielleicht noch vor dir sterben. Wäre das nicht traurig für dich?“ Nach weiterem Nachdenken, sie: „Oh – dann rauch lieber doch nicht! Sonst müsste ich am Ende noch deine Beerdigung bezahlen.“

© Beate-Luise 2023-02-28

Hashtags