Wer hat Angst vorm bösen Wolf

Heidi Reiter

by Heidi Reiter

Story
Pörtschach

Ich bin ja prinzipiell kein Angsthase, nur wenn mein großer Bruder wieder mal auf kleiner Junge macht, hinter der Türe auf mich lauert und dann plötzlich herausspringt, bin ich zu Tode erschrocken und mir fällt im ersten Moment wirklich das Herz in die Hose. Aber diese Woche war ich urplötzlich konfrontiert mit einer anderen Form der Angst. Ein Wolf machte nämlich unsere Ortschaft unsicher und hatte es sich anscheinend vorgenommen, alle Dorfbewohner in eine Art Schockstarre zu versetzen. Ich denke, wenn man so etwas nicht gewohnt ist, kann es irgendwie schon ein bisschen unheimlich werden. Nachdem ich aber meine Runden mit meinem Hund Benny auch weiterhin machen musste, habe ich all meinen Mut zusammengenommen und mich dem Abenteuer gestellt. Mein ausgeprägter Optimismus kam wieder zum Vorschein und da ich ja kein rotes Käppchen auf dem Kopf hatte und auch kein Körberl in der Hand trug, war ich mir sicher, dass ich nicht das vorrangige Objekt seiner Begierde bin. Ich machte mir auch weiter keine Gedanken bis ich auf eine Nachbarin traf, die mir zurief, “nimm dich in Acht vor dem Wolf und geh heute lieber nicht in den Wald”. Jetzt schrillten auch bei mir die Alarmglocken und ich wusste nun auch ganz genau, warum ich diese Woche keinem einzigen Menschen im Wald begegnet war. Ich sah sie an und sagte, ja ist der Wolf denn jetzt wirklich schon gleich um die Ecke und sie antwortete doch glatt, dass er in der vergangenen Nacht schon in unserer Straße war. Wir kamen von einem Thema zum andern und am Ende erzählte sie mir auch noch, dass man auch vor einem Hahn aufpassen muss, denn wenn es ein durchgeknallter Hahn ist, kann er sich schon mal an deinem Bein in der Vene verbeissen. Jetzt war wirklich der Moment da, in dem sich mein Kopfkino selbständig machte und in Gedanken ging ich meine Route durch, auf der ich tagtäglich auf Hühner und einen Hahn treffe. Wenn dieser Hahn jetzt vielleicht auch noch rabiat wird, dann war’s das für Benny und mich. Ich verabschiedete mich ganz schnell denn wenn ich jetzt noch eine Story gehört hätte, dann wäre ich ohne Geleitschutz nicht mehr weitergegangen. Ich setzte also meinen Spaziergang leicht verschreckt fort, aber als ich an den Waldesrand kam, hatte der Tratsch schon vollständig seine Wirkung entfalten, sodass ich kurzerhand meine Route änderte, denn im Magen von einem Wolf wollte ich nicht enden und eine aufgeschlitzte Vene durch einen Hahn war auch nicht mein erklärtes Ziel. Glücklicherweise kamen wir wieder unbeschadet zu Hause an und als ich am Abend Social Media checkte, sah ich tatsächlich ein Video, auf dem der Wolf des Nächtens seine Runden bei uns im Kreisverkehr gezogen hatte und dann frisch-fröhlich die Straße überquerte, um auf der anderen Seite am Gehweg seinen Spaziergang fortzusetzen. Der Wolf war komplett abgemagert und er tat mir fast leid, anscheinend hatte er im Wald nichts mehr zum Fressen gefunden und aufgrund dessen einen Ausflug in die Zivilisation geplant. Am nächsten Tag war der Wolf schon wieder Schnee von gestern und niemand sprach mehr von ihm, da er auch schon wieder weitergezogen war. Ich dachte mir, wie schnell kann man eigentlich in Panik versetzt werden und Angst bekommen vor etwas Unbekanntem, aber wie schnell vergisst der Mensch das auch gleich wieder und ich bin mir sicher, das ist unser Joker, dass wir uns schnell anpassen können, aber dann Negatives auch bald wieder vergessen. Eure Cleo!

© Heidi Reiter 2025-06-07

Genres
Humor & Satire
Moods
Abenteuerlich, Hoffnungsvoll, Inspirierend, Mysteriös
Hashtags